Fleischskandal:Krise am Spieß

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In den Dönerbuden herrscht Flaute - auch Türken meiden der Deutschen liebsten Imbiss.

Claudia Fromme

Ein wenig scheint es, als hätte sich Mendes Seyit für Momente wie diese eine Choreographie zurecht gelegt. Wenn wieder einer vorbeikommt und nach Gammelfleisch fragt. Mendes Seyit reißt die Tür des Kühlschranks auf, greift rein und knallt einen Brocken eingeschweißtes Fleisch auf die Theke seines Restaurants "Gaziantep Sofrasi" im Münchner Westen. Wortlos deutet er auf das Etikett: "Putenoberkeule männlich" steht da und ein Haltbarkeitsdatum, das erst in zwei Wochen abläuft. Und, dass das Fleisch aus Italien stammt. "Nicht aus München", ruft Seyit. Nicht von der Firma, die tonnenweise Gammeldöner in die Republik verschickt hat.

Es gibt sie noch: die tapferen Döner-Esser (Foto: Foto: dpa)

Den Kunden ist das egal, sie sind gar nicht erst gekommen. Obwohl Seyit jeden Tag seinen Spieß frisch bestückt, obwohl er mit einem Banner lockt, auf dem "Döner macht schöner" steht, obwohl er der Starnberger Schickeria bereits 1977 den ersten Döner servierte. Fast 80 Prozent seines Umsatzes sind eingebrochen, nur Stammkunden sind geblieben. Seit zwölf Jahren esse er bei Seyit, sagt Peter Hackenschmidt, der das leere Lokal betritt und Döner bestellt. Das werde auch so bleiben, man dürfe nicht alles in einen Topf werfen, sagt er. Ein schwarzes Schaf - und alles ist verdorben. Mehmet Savasman kommt. Statt Döner bestellt er Lahmacun. Wegen der Sache mit dem Gammelfleisch, sagt er. Seyit schüttelt den Kopf: "So weit ist es schon gekommen", ruft er. Jetzt kauften nicht mal mehr Türken Döner.

Schirmherr der Dönersuchmaschine

Etwa 400 Kilometer entfernt sitzt Cem Özdemir in seinem Straßburger Büro und findet das richtig gut. Nicht, dass Seyit die Kunden wegbleiben, da treffe es wohl den Falschen, sondern, dass es ein Türke ist, der Döner verschmäht. Das zeige ein neues Verbraucherbewusstsein, gerade bei einer Klientel, die sonst alles fraglos akzeptiere, sagt Özdemir, der für die Grünen im Europaparlament sitzt. "Nur Druck hilft", sagt er - besonders wenn er von Landsleuten kommt. Erst dann würden auch Dönerbudenbesitzer stärkere Kontrollen ihrer Zulieferer fordern. Erst dann würden die Kunden auch mehr zahlen und nicht den Preiskrieg unter den 12.000 Dönerbuden in Deutschland forcieren.

Zum Döner hat Cem Özdemir eine besondere Beziehung: Er ist Schirmherr der Dönersuchmaschine www.doener365.de. Mehr als 5000 Buden werden da bewertet, zurzeit greifen besonders viele Nutzer auf die Seite zu. Özdemir selbst nicht, er ist Vegetarier. Aber darauf komme bei seinem Einsatz für den Spieß nicht an, sagt er. Döner sei viel mehr: Ein Symbol für Integration. Deutsche und Türken liebten den Fleischspieß gleichermaßen.

20 Prozent weniger Umsatz

Ob der Fleischskandal zu einer gemeinsamen Vorliebe für Qualität führt, ist fraglich. Es ist ja nicht die erste Krise, die der Döner durchmacht. BSE verleidete Dönerfans in den 90ern kurzzeitig den Spieß, die Vogelgrippe sorgte Anfang des Jahres für eine Talsohle, und nun also der Gammeldöner. Die meisten reagieren erst mal mit einem Totalboykott. "Es wird kein Unterschied gemacht, welches Fleisch von einem Skandal betroffen ist", sagt Ali Birinci, Chef der Münchner Dönerbude "Cavusogru". Auch als etwa BSE nur den klassischen Kalbsdöner betraf, gab es Einbußen beim heute mehr gefragten Putendöner.

Europas größter Dönerhersteller Karmez, der von Frankfurt aus mehr als 40 Tonnen Dönerspieße täglich ausliefert, verzeichnet Umsatzeinbußen von 20 Prozent. Doch die Branche kennt den vergesslichen Verbraucher. "Einen Monat, höchstens", heißt es bei einem Berliner Dönerfleischlieferanten, dann werde alles wieder beim Alten sein. "Abwarten und Tee trinken", sagt Ali Birinci.

Pilgerstätte für Dönerfans

Vielleicht bedarf es auch einfach mehr als eines handfesten Skandals, damit der Deutsche sich von seinem liebsten Imbiss trennt. Denn das ist der Döner, nicht mal die Currywurst verkauft sich so gut. Fast 83 Millionen Kilo Döner verzehren die Deutschen im Jahr und machen ihn zum "typisch deutschen Imbiss". So steht es im "Handbuch für Deutschland", herausgegeben vom Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Und wem das nicht reicht, der konsultiere Florian Langenscheidt. Zu seiner Sammlung von 250 Nationalheiligtümern gehört auch: Döner im Fladenbrot.

Der ist fürwahr sehr deutsch, denn die Variante mit Brot, Salat und Joghurtsoße sucht man in der Türkei vergebens. Die Heimat des Deutschdöners liegt in Berlin-Kreuzberg. 1971, so will es die Legende, machte der 16-jährige Mehmet Aygün im Kreuzberger "Hasir" etwas total Verrücktes: Er steckte das Dönerfleisch in eine Teigtasche mit Salat und goss, damit es nicht zu dröge wurde, Joghurtsoße drüber. Aygün legte mit seiner Erfindung den Grundstein für eine blühende Geschichte der Firma "Hasir", fünf Filialen gibt es in Berlin. Seine Bude am Kottbusser Damm ist heute eine Pilgerstätte für Dönerfans.

© SZ vom 6.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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