Zwischenzeugnisse für Grundschüler:Noten für Sozialverhalten machen Ärger

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Bei Erst- und Zweitklässlern soll künftig detailliert das Lern-, Arbeits- und Sozialverhalten beurteilt werden. Das Verfahren stieß auf so viel Verwirrung und Vorbehalte, dass die meisten Schulen von dem Recht Gebrauch gemacht haben, die Kinder letztmals nach alten Maßstäben zu bewerten.

Von Marten Rolff

Weniger als die Hälfte der Münchner Grundschulen hat sich nach Angaben des Schulamtes für die neuen Zeugnisse entschieden. Bei diesen sind Lern-, Arbeits- und Sozialverhalten der Erst- und Zweitklässler in insgesamt sieben Kategorien aufgeschlüsselt: Interesse und Motivation, Konzentration und Ausdauer, Lern- und Arbeitsweise, soziale Verantwortung, Kooperation, Kommunikation sowie Konfliktverhalten.

Obligatorisch werden die neuen Zeugnisse im Sommer. Im Ganzjahreszeugnis sollen die Zweitklässler erstmals wieder Noten in allen Fächern erhalten, dann werden auch die Berichte über das Arbeits- und Sozialverhalten in Noten der Kategorien A (gut) bis D (schlecht) zusammengefasst.

Förderansätze ohne Mittel zum Fördern

Beim Münchner Lehrerinnen- und Lehrerverband (MLLV) stößt die Reform auf "gemischte Gefühle", wie dessen Chefin Waltraud Lucic sagt. Zwar wird begrüßt, dass Verhalten und Fördermöglichkeiten der Schüler stärker berücksichtigt werden.

Doch habe sich die neue Beurteilungsform gerade in München wegen der vergleichsweise großen Klassenstärken als "schwer durchführbar" erwiesen, kritisiert Lucic die zweiseitigen Beobachtungsprotokolle, die die Klassleiter für jedes Kind nun zusätzlich zum Zeugnis schreiben müssen.

Auch habe es keinen Sinn, aufwändig Förderansätze aufzuzeigen, solange Personal und Stunden zum Fördern fehlten. Laut Schulamt wurden Münchens Grund- und Volksschulen zum Februar Lehrer für 324 neue Stunden zugewiesen, dem stehen jedoch 400 Stunden gegenüber, die zum neuen Halbjahr wegen Altersteilzeitregelungen gestrichen werden.

Unmut über Zusatzarbeit

An den Schulen kritisiert man zudem die schnelle Einführung der Reform und den großen Aufwand. Weil bei vielen Lehrern Unklarheit über Art und Umfang der Beurteilung sowie Unmut über die Zusatzarbeit herrschte, zog das Kultusministerium im Dezember den Beobachtungsbogen für Fachlehrer zurück.

Klagen gab es auch über die späte Aktualisierung der Computerprogramme. "Wir haben uns dagegen entschieden, die Kinderkrankheiten der Neuregelung auszubaden", erläutert Marianne Baier, Rektorin der Grundschule an der Weißenseestraße die Entscheidung für die alten Zeugnisse.

Kritik gibt es vor allem an der geplanten Benotung des Sozialverhaltens. "Da kommt viel Ärger auf die Schulen zu", glaubt Baier. Es sei "höchst zweifelhaft, wenn Kinder in Schubladen gesteckt und Verhaltensnoten justiziabel werden".

Monica Schröger, Rektorin der Grundschule an der Ittlingerstraße, beurteilt die neuen Zeugnisse zwar als "weniger aufwändig als angenommen", weshalb sich ihr Kollegium für die Neuregelung entschied. Die Benotung von Sozialverhalten sieht Schröger jedoch kritisch: "Kann ich mir als Lehrer anmaßen, etwa die Konfliktfähigkeit eines Siebenjährigen zu bewerten?" fragt die Rektorin.

Das Ministerium hatte die Zeugnisreform mit der Pisastudie begründet, die verlange, Schlüsselqualifikationen stärker zu beachten. Zudem habe eine Umfrage unter 6000 Eltern ergeben, dass Noten für untere Klassen gewünscht seien. "Komisch ist nur, dass wir solche Eltern kaum kennen", moniert Isabell Zacharias, die Chefin des gemeinsamen Elternbeirats der Münchner Volksschulen (GEB).

Zacharias hält das Umfrageergebnis für wenig überraschend: Den Eltern seien Noten aus ihrer Kindheit bekannt, Alternativen habe man ihnen nicht unterbreitet. Die GEB-Chefin sieht in den Verhaltensnoten die "Gefahr eines frühen Stigmas". Die Chancengleichheit, so Zacharias, habe sich verschlechtert.

(SZ vom 18.02.05)

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