Zwangsarbeiterlager:Das Leben der Häftlinge

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Das NS-Dokumentationszentrum hat die Baracke 5 des früheren Zwangsarbeiterlagers Neuaubing übernommen. In dem Gebäude soll es eine Ausstellung geben, die an die Opfer des NS-Regimes erinnert - und es soll Ausgangspunkt für einen Rundgang über das Gelände werden

Von Jakob Wetzel

Es gibt in diesem Gebäude eigentlich nicht viel zu sehen, abgesehen von leeren Räumen, dünnen, kaputten Decken, einem alten Ofen und einer Toilette mit Dusche. Und doch ist jeder Raum bedrückend. An diesem Dienstag hat das NS-Dokumentationszentrum der Stadt München die Baracke 5 des früheren Zwangsarbeiterlagers Neuaubing in seine Obhut genommen, nach einer monatelangen, aufwendigen Sanierung. In Zukunft soll sich nun das ehemalige Lager in eine Außenstelle des Zentrums verwandeln.

Die Baracke 5 spielt dabei eine zentrale Rolle: Das zehn Meter breite und etwas mehr als 25 Meter lange denkmalgeschützte Gebäude soll nicht nur Anschauungsobjekt sein, sondern Ausgangspunkt für einen Rundgang über das 24 000 Quadratmeter große frühere Lagergelände. Zu diesem Zweck hat die Stadt München das gesamte Areal in diesem Jahr von dem Immobilienunternehmen CA Immo gekauft. Acht von ursprünglich elf Baracken sind hier erhalten geblieben, die meisten sind heute von Handwerkern und Künstlern belegt, dabei soll es auch bleiben. Zusätzlich aber soll ein Besucherforum entstehen, und auf dem Gelände sollen an verschiedenen Orten Informationsstelen aufgestellt werden, um an die Zwangsarbeit als zentrales Unterdrückungsinstrument des NS-Regimes sowie an die Schicksale der Opfer zu erinnern. Einen Termin, zu dem alles fertig sein soll, nannte das Zentrum am Dienstag nicht. Bereits im Frühjahr aber sollen Besucher mit Audioguides über das ehemalige Lagergelände gehen können.

Böden und Decken sind aufgerissen, aber die Baracke 5 ist nun baulich gesichert. Bei der Sanierung wurde der aktuelle Zustand erhalten. (Foto: Catherina Hess)

Dieser Dienstag sei ein besonderer Tag für das NS-Dokumentationszentrum, sagte dessen Gründungsdirektor Winfried Nerdinger bei der Übergabe. Das Zentrum stehe an einem Täterort, im früheren Nazi-Parteiviertel in der Maxvorstadt. Jetzt erhalte es eine Dependance an einem "authentischen Opferort": Die beiden Standorte würden sich "in geradezu idealer Weise ergänzen". In der Ausstellung in der Maxvorstadt würden Zusammenhänge und Strukturen erläutert. In Neuaubing dagegen könne man auf die Lebensverhältnisse und Biografien der Häftlinge eingehen.

Das frühere Zwangsarbeiterlager an der Ehrenbürgstraße 9 ist heute eine Besonderheit: Neben einer Anlage in Berlin-Schöneweide ist es das einzige erhaltene Lagergelände seiner Art in Deutschland. Früher dagegen war es alles andere als einzigartig. Im Nationalsozialismus gab es mehr als 30 000 Zwangsarbeiterlager, mehr als 400 standen allein in München. Nach 1945 aber wurden fast alle Lager neu genutzt und danach abgerissen. "Sie verschwanden aus dem Gedächtnis", sagte Nerdinger. Dabei waren in den Lagern reichsweit mehr als 13 Millionen Menschen inhaftiert. "Sie hielten die Kriegswirtschaft und die Infrastruktur in Betrieb, und zwar vor aller Augen." Morgens und abends zogen Zwangsarbeiter durch die Straßen zu ihren Fabriken und zurück. Und das Lager in Neuaubing stand unmittelbar neben einer Wohnsiedlung - so wie viele andere auch.

SZ-Karte (Foto: N/A)

Auch das Lager an der Ehrenbürgstraße wurde nach dem Krieg von der Bahn anderweitig genutzt. Von 1943 bis 1945 aber waren hier bis zu 600 Menschen eingesperrt, die meisten kamen aus der Sowjetunion, Jugoslawien, Frankreich, Polen und Italien. Sie arbeiteten im Reichsbahnausbesserungswerk Neuaubing und im Flugzeugwerk Dornier. Anders als für die großen Konzentrationslager war für das Lager dabei nicht die SS verantwortlich, sondern die Reichsbahn. Die Häftlinge seien von Bahnleuten bewacht worden, sagt die Historikerin Sabine Schalm vom städtischen Kulturreferat. "Einzelne Wachleute haben wir identifiziert." Sie hätten zum Teil direkt in der Nachbarschaft gewohnt.

Schalm hat mit Andreas Heusler vom Münchner Stadtarchiv die Geschichte des Lagers erforscht und das Konzept für den Erinnerungsort erarbeitet - eine mühsame Aufgabe, denn es seien kaum Akten erhalten, sagt sie. Zumindest gebe es Berichte von Zeitzeugen. Der Rundgang über das Gelände solle künftig das Leben der Häftlinge anschaulich machen, erklärt Schalm. Eine Stele wird etwa vor der früheren Wachmannschaftsbaracke im Südosten des Geländes stehen. Das Gebäude ist heute knallgelb gestrichen und dient als Kindergarten mit Krippe. Früher wurde hier die Unterkunft verwaltet. Zusätzlich gab es zwei Ein-Mann-Bunker, Serienfabrikate der Münchner Baufirma Leonhard Moll. Sie sind ebenfalls erhalten.

Eine weitere Stele wird beispielsweise vor dem einstigen Wirtschaftsgebäude im Osten des Areals stehen. Hier werde erläutert, wie die Zwangsarbeiter verpflegt wurden, sagt Schalm. Iwan Hond, ein ehemaliger ukrainischer Häftling, der als 14-Jähriger nach Neuaubing gekommen sei, habe davon erzählt. Ukrainische Frauen hätten im Wirtschaftsgebäude Essen für alle Häftlinge zubereitet, immer zu wenig, und es dann in Eimern in die einzelnen Unterkünfte geschleppt. Die Berichte Honds sollen später als Video-Interview gezeigt werden.

© SZ vom 02.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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