Zunehmend Gewalt bei Jugendlichen:"Männer reden ja ohnehin nicht über Gefühle"

Lesezeit: 2 min

Taten wie der brutale Überfall auf den Taxifahrer sind Einzelfälle - die Polizei stellt aber Zuwächse fest.

Susi Wimmer

Blutüberströmt konnte der 60-jährige Taxifahrer nach dem Überfall aus seinem Auto flüchten und weghumpeln. Der 16-jährige Täter allerdings setzte ihm nach, holte sein verletztes Opfer leicht ein und stach wie besinnungslos auf den Mann ein - auch als dieser längst schwer verletzt am Boden lag. Gut 40 Stiche zählten später die Mediziner.

Polizeipsychologe Manfred Langer : "Stechen Sie mal so oft auf einen Karton ein, das dauert Minuten." (Foto: Foto: SZ-Archiv)

Der Taxifahrer, der nach dem Überfall am 4. Januar in Lebensgefahr schwebte, hat das Schlimmste überstanden. Was bleibt, ist die Frage nach dem Grund für die unglaubliche Kaltschnäuzigkeit, mit der die Jugendlichen zu Werke gingen. Selbst der Oberstaatsanwalt Peter Boie zeigte sich ob der "enormen Brutalität" überrascht.

40 Stiche - "wenn ich allein diese Zahl höre, hab ich schon ein Problem, von einer Affekthandlung auszugehen", sagt Manfred Langer, Leiter des Zentralen Psychologischen Dienstes bei der Polizei. Und: "Stechen Sie mal so oft auf einen Karton ein, das dauert Minuten."

Langer würde bei so einem Verhalten von einem "psychischen Defekt des Täters" ausgehen. Bei der pauschalen Frage, ob die Jugend zunehmend verroht, kommt die Antwort eher zögerlich. "Gerauft", sagt Langer, "haben wir in jungen Jahren auch." Da sei man schon mal in den anderen Stadtteil gefahren, um sich mit einer rivalisierenden Bande zu prügeln.

Heute, hat Manfred Langer den Eindruck, werde Gewalt zunehmend als Konfliktlösung angesehen. Er stellt eine Sprachlosigkeit bei den Jugendlichen fest, eine Unfähigkeit, Probleme verbal auszutragen, "und Männer reden ja ohnehin nicht über Gefühle". "Und ich bin ein Verfechter der These, dass Gewalt-Video-Spiele auf den Nutzer abfärben."

Ein Blick in die Statistik des Polizeipräsidiums München zeigt, dass die Delikte wie gefährliche und schwere Körperverletzung auf dem Vormarsch sind: 3336 Fälle, 8,5 Prozent mehr als im Vorjahr, wurden 2005 registriert. Nichtdeutsche Kinder und deutsche Heranwachsende fallen laut Kriminalstatistik besonders stark auf. Bei diesen Delikten gehe es nicht um den Raub eines trendigen Gegenstands mit anschließender Prügelei, "sondern um Gewalt um der Gewalt willen", sagte Polizeipräsident Wilhelm Schmidbauer.

Die Täter, so erzählt Josef Wilfling von der Münchner Mordkommission zum aktuellen Fall, stammten aus zerrütteten Familienverhältnissen. "Das Bild ist immer ähnlich, erschreckend". Der Messerstecher habe keinen Schulabschluss, keine Perspektive. "Der sitzt jetzt da wie ein Lamm. Kaum zu glauben, dass er so etwas getan hat'', sagt der Kriminaler. Bislang sei der 16-Jährige polizeimäßig durch kleine Sachen in Erscheinung getreten, "nichts Extremes". Solche brutalen Einzeltaten, sagt Wilfling, habe es schon immer gegeben. "Aber für mein Gefühl ist der Prozentsatz dieser Taten zu hoch geworden."

Ein anderes Bild zeichnet Herbert Baumann von Landeskriminalamt. Er sagt, "Gewalt wird quer durch die Gesellschaft mehr und mehr geächtet und nicht mehr akzeptiert".

Die leichte Steigerung bei den Körperverletzungen durch Jugendliche (bayernweit 4000 Tatverdächtige in 2005) führt er darauf zurück, dass mehr angezeigt werde. "Aufhellung des Dunkelfeldes" - wie der Experte das nennt. Es seien Einzelfälle, die in der Öffentlichkeit hervorgehoben werden und das Bild verzerren. "Das Hauptdelikt bei den 14- bis 17-Jährigen ist immer noch der Diebstahl."

© SZ vom 16.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: