Zoo-Dreharbeiten:Die Angst des Schimpansen am Set

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Der Bayerische Rundfunk dreht in Hellabrunn 40 Folgen für die Doku-Soap "Nashorn, Zebra & Co" - dabei geht es auch um Leben und Tod.

Astrid Becker

Normalerweise sind sie echte Kerle. Stark, breitschultrig, groß. Solche, die ihre Mädels im Griff haben, sie nie aus den Augen lassen. Käme einer den Damen zu nah, würden sie auch vor Handgreiflichkeiten nicht zurückschrecken. Doch das merkwürdige Ding, das ihnen Zoodirektor Henning Wiesner unter die Nase hält, ist einfach furchtbar. Die Schildkröte von vorhin war ja noch in Ordnung, die Schlange - na ja, die hätte nicht sein müssen.

Drehen im Zoo - keine leichte Arbeit (Foto: Foto: Haas)

Aber dieses Ding, das ist der blanke Horror. Und zwar so sehr, dass Schimpanse Franzl seinen Anblick nur kurz erträgt und sich dann, scheinbar angeekelt, abwendet. Gorilla-Chef Roututu findet es sogar noch furchtbarer. Er ergreift sofort die Flucht.

Felix Heidinger und sein Kameramann Luis Andrew können das Verhalten der beiden Menschenaffen nur allzu gut nachempfinden. Es scheint lediglich ihre Professionalität zu sein, die sie hindert, den Set zu verlassen. Denn das ,,Ding'' heißt Agathe und ist eine Vogelspinne. ,,Ich habe eine absolute Spinnenphobie'', sagt Andrew. Und auch Heidinger gibt zu, dass Spinnen die ,,einzigen Tiere sind, die mir nicht behagen''.

Doch echte Tierfilmer müssen da durch. Zumal dieses Aufeinandertreffen von Affen mit Schildkröte, Schlange und Vogelspinne in der neuen Doku-Soap ,,Nashorn, Zebra & Co'' zu sehen sein soll, die Heidinger derzeit zusammen mit Jens-Uwe Heins und zwei Kamerateams im Münchner Tierpark Hellabrunn dreht.

Der Chef operiert

40 Folgen à 50 Minuten sind geplant, die die ARD von Frühjahr 2007 an, täglich um 16.10 Uhr, ausstrahlen will - wenngleich die beiden Autoren, Heidinger und Heins, beim Begriff ,,Soap'' erst einmal die Augen verdrehen: ,,Diese Bezeichnung ist nicht gut. Soap kommt von einseifen, wir wollen die Zuschauer nicht einseifen, sondern mit unseren Geschichten unterhalten'', sagt Heins. Und verrät damit eigentlich bereits, was diese Reihe von den vielen anderen unterscheiden soll: Sie erlaubt den Zuschauern nicht nur einen Blick hinter die Kulissen eines Zoos, sondern erzählt immer wieder einzelne, in sich abgeschlossene Geschichten über Hellabrunner Menschen, Tiere und ihre Beziehung zueinander.

Und dazu gehört eben auch, eine These von Zoochef Wiesner bildlich zu untermauern, die er bei seinen Ausflügen mit Vogelspinne und Schlange in Schulklassen aufgestellt hat: ,,Die Angst vor Spinnen muss eine Urangst sein, weil sie nicht nur die Menschen, sondern auch ihre nächsten Verwandten, die Menschenaffen, aus der Fassung bringt.''

Aber auch Geschichten über Leben und Tod stehen auf dem Drehplan. Wie die von ,,Christa'' zum Beispiel, einer Wisentkuh, deren erstes Kalb Gustav Gefahr läuft, nur wenige Tage nach seiner Geburt die Mutter zu verlieren. Die Nachgeburt hatte sich nicht gelöst, ,,Christa hat sich nicht geputzt'', wie das im Zoodeutsch genannt wird. Anders als beim Menschen kann es bei Wisenten sehr viele Stunden dauern, bis sie die aus Plazenta und Teilen der Fruchthülle bestehende Nachgeburt ausstoßen.

Doch zwei Tage sind zu viel. Deshalb entscheidet Zoodirektor Henning Wiesner, der selbst Veterinär ist, die Nachgeburt manuell zu entfernen. ,,Wir können jetzt nicht mehr warten, weil die Mutter sonst an einer Infektion stirbt'', sagt er. Es ist ein schwieriger Eingriff, der viel Fingerspitzengefühl und Erfahrung erfordert. Chefsache also. Christa steht an diesem Morgen in einer der Innenboxen auf der Wisentanlage. Während die Narkose anfängt zu wirken, versuchen die Pfleger, das Kälbchen von der Mutter zu trennen. Doch Gustav strampelt heftig, will einfach nicht weg von der Mama. Heins und Heidinger geben in der Zwischenzeit ihrem Team ganz leise genaue Anweisungen, wie sie sich die Kameraeinstellungen vorstellen.

Sie wissen, dass laute menschliche Stimmen im Gegensatz zu Maschinenlärm die Wirkung der Betäubung stören würden - und dass nichts schief laufen darf. Keine Szene, die sie im Tierpark drehen, ist zu wiederholen oder gar nachzustellen. ,,Wir kommen nur deshalb so nah dran, weil man zu uns Vertrauen hat'', erzählen sie später.

Dieses Vertrauen, von dem die beiden berichten, ist das Ergebnis einer jahrelangen, sehr engen Zusammenarbeit zwischen dem Bayerischen Rundfunk und dem Zoo. Der jetzige Leiter der Redaktion Naturwissenschaften und Tiere, Udo Zimmermann, hat bereits viele Filme über Hellabrunn gedreht und auch diesmal, bei der Doku-Soap, die oberste Federführung.

Aber auch die fast freundschaftlichen Beziehungen, die Heidinger und Heins zu den Mitarbeitern des Zoos aufgebaut haben, spielen eine große Rolle. Seit Ende Mai sind die beiden Autoren mit ihren Teams nahezu täglich zehn, manchmal sogar 15 Stunden im Tierpark unterwegs. ,,Wir wollen nicht einfach nur drehen, sondern die Menschen und Tiere Hellabrunns wirklich verstehen'', sagen sie.

Daher hatten sie auch nur nachts und am Wochenende Zeit, ihr Material zu sichten und zu schneiden: ,,Ein harter Job, aber er macht richtig Spaß.'' So sehr, dass es ihnen manchmal schwer falle, ihre Beobachterrolle beizubehalten: ,,Ich will immer zulangen, wenn ich sehe, dass eine Hand fehlt'', erzählt Heidinger.Auch während der Operation von Christa ist es ihm anzumerken, dass er am liebsten mithelfen würde. Vor allem, als die Pfleger die Beine des rund 360 Kilogramm schweren Tieres fixieren müssen, die sich unter dem Einfluss der Narkose permanent bewegen und Wiesners Arbeit behindern. ,,Die könnten jetzt jede zusätzliche Hand brauchen'', flüstert auch Heins.

Ganz langsam verschwindet der rechte Arm des Zoochefs in Christa. Es dauert gerade einmal zehn Minuten, dann hat Wiesner die Nachgeburt entfernt und die sich selbst zersetzenden Antibiotika-Stäbe im Uterus platziert - eine Vorsichtsmaßnahme, falls sich bereits Keime in der Gebärmutter gebildet haben. Der Tierarzt spritzt ein Mittel gegen die Betäubung, und nach ein paar weiteren Minuten beginnt Christa zu muhen. Sie will mit ihrem Kälbchen in der Nachbarbox Kontakt aufnehmen, das den ganzen Eingriff mit großen, ängstlichen Augen verfolgt hat.

Die Filmer ziehen sich zurück, wenngleich ihr Besuch mit Kamera bei Christa damit noch lange nicht vorbei ist. Sie haben schon Gustavs Geburt gefilmt, jetzt den Eingriff an seiner Mutter und wollen nun ,,unbedingt wissen, wie es für Mutter und Kind weitergeht''. Nicht nur einer schönen Geschichte wegen, sondern auch aus ganz persönlichen Gründen: ,,Würden wir nicht mit so viel Gefühl an die Sache rangehen, wären wir auch in unserer Arbeit nicht glaubhaft.'' Und das fänden beide ,,echt schlimm''. Viel schlimmer noch als der Anblick einer Vogelspinne namens Agathe.

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