Zehnte Liga (3):Und dann schreit Mike Meier

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AC/DC und chinesische Weisheiten: Am dritten Spieltag empfing der ESV Freimann die SpVgg Feldmoching II - und verlor, komischerweise. Zu Besuch beim Klinsmann der Kreisklasse.

Sebastian Gierke

Die SZ begleitet eine Saison die Kreisklasse Gruppe 2. Am dritten Spieltag empfing der ESV Freimann die SpVgg Feldmoching II - und verlor, komischerweise.

"Jeder Spieler arbeitet für das Team, nicht für den Trainer" - "Disziplin": Sprüche in der Kabine des ESV Freimann. (Foto: Foto: Pahnke)

Das Spiel ist vorbei, das Spiel ist verloren. Die Stimmung ist gut. Auch bei den Verlierern im Vereinsheim. Von denen steht einer auf, ein Bier in der Hand. Er sagt: "Nach dem Spiel heute ist klar, wir brauchen Verstärkung. Deshalb . . ." Was folgt, ist ohrenbetäubendes Brüllen aus 40 Kehlen. Man versteht wenig. Nur: "Zicke, Zacke!" Und: "Schuss! Tor!" Und: "Huh, Huh, Huh." Das ist der Kampfschrei der Fußballabteilung des ESV Freimann. Ein Ritual, für Außenstehende unverständliche Verständigung, durch die aber ein Bandengefühl entsteht.

Das Gebrüll galt Dimi, der 13, einer, der zur zweiten Halbzeit eingewechselt wurde. Er ist gerade Vater geworden, hat also, so sehen das seine Teamkameraden, für Verstärkung gesorgt - auch wenn die erst in ein paar Jahren so weit sein wird, eine Niederlage wie das 1:3 heute gegen die zweite Mannschaft der SpVgg Feldmoching zu verhindern. Viele Vereine behaupten von sich, eine große Familie zu sein. Bei einigen stimmt das sogar.

Bei den Fußballern vom Eisenbahner-Sportverein Freimann bestimmt. Auch wenn nur noch einer aus der Mannschaft Eisenbahner ist, fast alle haben das Fußballspielen beim ESV begonnen, durchliefen alle Jugendmannschaften, kennen sich seit Jahren. Deshalb sind auch alle, tatsächlich alle, geblieben nach dem Abstieg aus der Kreisliga vergangene Saison. Zwei neue aus der A-Jugend sind dieses Jahr dabei.

Die Mannschaft ist jung, die meisten um die 20 Jahre alt. Mike Meier - ein Name wie ein Superheld - ist Spielertrainer und mit 35 Jahren der Älteste. Vor dem Spiel in der Kabine lässt er "Hells Bells" von AC/DC laufen. "Ich komme wie ein Hurrikan", brüllt AC/DC-Vorbrüller Brian Johnson. Mike Meier schreit: "Köpfe hoch, Männer! Aggressiv! Von Anfang an drauf, damit die gleich wissen was Sache ist."

An den Wänden hat er vor Saisonbeginn Zettel angebracht: Die chinesischen Schriftzeichen für Disziplin, Einsatz oder Leidenschaft sind drauf. Dazu solche Sätze: "Eine Mannschaft ist nur so stark wir ihr schwächstes Glied." Eine Meisterschale aus Plastik steht auch herum. Die Tabelle mit dem Strafenkatalog hängt etwas versteckt in einem Eck: Zigarette kostet 50 Cent. Beim Training den Ball über den Zaun dreschen: 1 Euro. Ein Spiel verpassen: 100 Euro. Mike Meier sagt: "Buddha-Statuen hab ich zwar nicht aufgestellt, aber sonst läuft das hier wie bei Klinsmann." Er lacht.

In der Kabine bilden sie einen Klinsmann-Spielerkreis und Meier singt die Titelmelodie des Films "Fluch der Karibik". Aberglaube. Die vergangenen beiden Male hat das funktioniert. Der ESV ist vor dem Spiel Tabellenführer: 6:0 Punkte. 6:0 Tore. Zum Abschluss: Kampfgebrüll. Als das Spiel läuft, brüllt nur noch der Gegner.

Die ESV-Spieler wissen bald nicht mehr, was Sache ist, lassen sich einschüchtern. Einzig Nicolas Stadtelmeyer, Kapitän und Libero, gibt noch lautstark Kommandos. Feldmoching ist aggressiver. Die haben zwar auch eine sehr junge Mannschaft, die aber aufgrund von Verletzungen mit drei Spieler der Alten Herren, 36, 37 und 40 Jahre alt, aufgefüllt wurde. Dieser vermeintliche Nachteil wird zum Vorteil.

Der ESV geht durch einen Elfmeter in Führung, hätte sogar einen zweiten bekommen müssen, doch je länger das Spiel dauert, desto ängstlicher werden die Spieler. Zur Pause steht es 2:1 für Feldmoching, und Mike Meier ist sauer, wird laut, vermutet Dinge in den Hosen seiner Spieler, die da nicht hingehören, schon gar nicht während eines Spiels. Doch auch in der zweiten Halbzeit werden sie nicht mutiger. ESV-Abteilungsleiter Roland Karges steht an der Seitenlinie. Er glaubt: "Kopfsache." Gut möglich.

Vergangene Saison ist der ESV Letzter der Kreisliga geworden, konnte kaum ein Spiel drehen. Ein Jahr später und eine Klasse tiefer hätten sie die spielerischen Mittel dazu. Doch keiner scheint daran zu glauben. Als Meier sich verletzt behandeln lassen muss, schießt Feldmoching das dritte Tor.

In der Kabine läuft später der Radio: Ein trauriger Abgesang von Coldplay. Chris Martin, Coldplay-Vorseufzer, seufzt, er habe die Angst im Auge seiner Gegner gefühlt. Auf einem der Zettel an der Wand steht: "Fußball muss Spaß machen". Mike Meier gibt sich überzeugt: "Wir sind jung, die Niederlage bringt uns nicht um. Ziel bleibt: der Aufstieg." Thomas Rehag, zufriedener Trainer von Feldmoching sagt: "Wenn die so weiterspielen, dann werden die gar nichts."

Trotzdem wird im ESV-Vereinsheim die Stimmung immer besser. Die Nummer 13 hat schließlich für Familiennachwuchs beim ESV Freimann gesorgt.

Und die Familie ist ja doch das Wichtigste.

© SZ vom 09.09.2008/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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