Zehnte Liga:Ein Pfiff. Schwarzblende. Kampf.

Lesezeit: 3 min

Das Kreisklassenduell Schwabing gegen Tunesien bietet Stoff für große Themen, die bewegen.

Sebastian Gierke

Die Dramaturgie großer Fußballspiele gleicht oft der großer Filme. Hier wie dort sind es große Themen, die bewegen, auch in der Kreisklasse: Rivalität. Feindschaft. Freundschaft. Versöhnung.

Nächstenliebe, wie sie sein sollte: Schwabings Kristian Knobbe (links) lässt sich nach einem Zweikampf von seinem Gegenspieler Monnir Bouchane (Rot-Weiß Tunesien) behandeln. (Foto: Foto: Pahnke)

Teil eins, was bisher geschah: Am 7. September 2008 treffen die Antagonisten erstmals aufeinander: FC Schwabing (FCS) und Rot-Weiß Tunesien (RWT). Die Konfrontation ist hart, aber nicht unfair. Einige Tritte, Grätschen, verbale Scharmützel. Doch dann, nach dem Abpfiff: Tumulte, Faustschläge, gezielte Fußtritte. Der Platzwart von Schwabing geht dazwischen. Am Ende liegt er mit gebrochenem Wangenknochen im Krankenhaus, die Polizei kommt. Schwabing gewinnt 2:1.

Teil zwei, am vergangenen Sonntag: "Die große Versöhnung".

Prolog: Die Kamera zeigt eine verwitterte Uhr, es ist kurz vor zwölf. Sie zieht langsam bis zur Totalen auf, Streichermusik, leise, immer lauter werdend. Man sieht Hochhäuser, Wohnblocks, eine alte Schule. Im Hintergrund die Autobahn, urbane Wüste. Zwischen den Gebäuden ein Kunstrasenplatz. Die Kamera mit dem Blick von oben. Zwei Mannschaften beim Aufwärmen, feindselige Blicke, die Stimmung angespannt. Der Schwabinger Abteilungsleiter verteilt Ordnerbinden, weist den Schiedsrichter auf die Vorfälle aus dem Hinspiel hin.

Das Drama beginnt: Die Musik erreicht den Höhepunkt, Paukenschläge, Schnitt auf den Ball. Ein Pfiff. Schwarzblende: Die Welt ist jetzt ausgeblendet, der große, entscheidende Kampf beginnt, an dessen Ende alles wieder gut werden, wieder die Wirklichkeit stehen kann. Aber erst, die goldene Blockbusterregel einhalten: Beginne mit dem Höhepunkt und steigere dich dann. Keine Minute vorbei, aus der Perspektive des Balles gefilmt: Schwabing gibt einen ersten Warnschuss ab. Rasende Kamerafahrt. Knapp streicht der Ball über das Tor.

Die Schwabinger Spieler werden jetzt meist von unten gefilmt: Heldeneinstellung. Die Überlegenheit der Schwabinger bekommt so eine cineastische Entsprechung. Die Musik wird immer kraftvoller, die Schnitte werden schneller. Ein Angriff nach dem anderen rollt auf das Tor von RWT zu. Heftige Diskussionen zwischen den Spielern. Der Trainer brüllt dem Schiedsrichter ein paar unfreundliche Worte hinterher, entschuldigt sich später. Gleich ist Halbzeit. Jetzt Zeitlupe! Eine Blutgrätsche, Stollen treffen ein Schienbein, dumpfes Krachen, Schrei. Großaufnahme: schmerzverzerrtes Gesicht. Immer noch Zeitlupe! Elfmeter für den FCS. Westernmusik. Mann gegen Mann, das Duell. Der Torwart küsst den Ball, legt ihn dann auf den Elfmeterpunkt, blickt dem Schützen in die Augen. Musik aus. Schuss ins linke untere Eck. Tor. Fanfaren. Jubel. Dann die Kamera so lange unverwandt auf das Gesicht des Torwartes richten, bis man ihm die Leere ansieht. Pausenpfiff.

Totale vom Spielfeld. Es beginnt zu regnen. Aus dem Off ist eine Stimme zu hören: "Es hat gerade erst begonnen."

Wenige Minuten nach Beginn der zweiten Halbzeit: Der beste Spieler von RWT motzt schon während des gesamten Spiels. Irgendwann hat der Schiedsrichter genug: Gelb-Rot. Überheblichkeit in den Gesichtern der FCS-Spieler. Die Spieler von RWT beschimpfen sich gegenseitig. Ihr Selbstvertrauen ist weg. Das Spiel entschieden?

Doch dann der Klimax. Es beginnt mit einem Zucken des Totgeglaubten. Eine schöne Ballstafette von RWT. Die Musik wird lebhafter. Im Bild: Tolle Ballbehandlung der RWT-Spieler. Natürlich in Zeitlupe, da sieht alles gut aus. Noch ein Angriff, ein unglücklich abgefälschter Ball: Ausgleich. Nur Sekunden später: subjektive Kameraeinstellung, aus Sicht des rechten Flügelspielers von RWT. Er umkurvt ein, zwei Gegenspieler, bis nur noch der Torwart vor ihm steht, Schuss aus 14 Metern. RWT in Führung. Zügelloser Jubel.

Katharsis: RWT-Hintertorkamera. Eine FCS-Angriff nach dem anderen. Viele hohe Bälle. Hardrockmusik, die immer verzweifelter klingt. Noch zehn Minuten zu spielen. Ein RWT-Spieler wird gefoult, schreit. Eine FCS-Sympathisantin brüllt mit sich überschlagender Stimme: "Schreien kannst du, aber sonst nichts." Und noch eine kurze Slapstickeinlage: Der RWT-Torwart windet sich nach einem Strafraumgetümmel fünf Minuten am Boden, hält sich den Kopf - obwohl ihn niemand berührt hat. Ein letzter hoher Ball, 94. Minute. Der FCS-Stürmer steigt hoch, höher, noch höher. Das Bild negiert jede Objektivität, treibt Schabernack mit der Physik. Als der FCS-Spieler den Ball trifft: Donner, Blitz. Der Ball schlägt unten links ein. Ausgleich. 2:2. Der Schiedsrichter pfeift nicht mehr an. Umarmungen, überall.

Epilog: Der vom Platz gestellte RWT-Spieler steht mit ein paar Freunden vor der Umkleidekabine. Ein FCS-Betreuer geht von hinten auf ihn zu, hebt den Arm, in der Faust einen schwarzen Regenschirm - und umarmt den Spieler. "So a guada Fuaßballer bist du. Wahnsinn. Nur manchmal musst einfach den Mund halten." Die beiden lachen. "Wenn du das in den Griff bekommst." Effektvolle Pause. "Dann machen wir dir ein Angebot, das du nicht ablehnen kannst." Abspann. Danksagung: an den FC Schwabing und Rot-Weiß Tunesien für ein tolles Kreisklassenspiel.

© SZ vom 17.03.2009/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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