Zehnte Liga (4):Drei-eins-vier-eins-eins

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Hohe Grasnarben, neongelbes Klebeband und ein magisches Dreieck: Systemfußball in der Kreisklasse.

Michael Neudecker

Die SZ begleitet eine Saison die Kreisklasse 2. Der vierte Spieltag hat gezeigt: Der Weg zum Erfolg führt nur über das System.

Vor zwei Jahren war der FC Eintracht ziemlich schlecht, doch dann kam er: "Ich habe sie vor dem Abstieg gerettet", sagt Graziano Minichiello, Trainer und Libero. Aktuell ist der FC Eintracht Tabellenführer der Kreisklasse, ungeschlagen. (Foto: Foto: Christina Pahnke)

Graziano Minichiello tritt aus dem Kabinenhäuschen, das wirklich nicht mehr ist als ein Häuschen, ein Häuschen mit Kabinchen. Graziano Minichiello, 35 Jahre, klein, muskulöse Figur, schwarzes, kurzes Haar, Typ Leopoldstraßen-Italiener, er trägt das rote Trikot des FC Eintracht, die 5 hinten drauf, er ist der Libero, und er ist der Trainer. Er sieht gut aus, entschlossen, bereit für den Kampf. Der Gegner wartet schon.

Gerade eben hat Graziano Minichiello in seiner Kabinchenansprache an die Mannschaft gesagt: "Leute, wir spielen nicht für den FC Minichiello, sondern für den FC Eintracht!" Und: "Wir müssen immer im Ballbesitz sein, präsent sein, hinten gnadenlos sein!" Und: "Wenn wir da rausgehen, Leute: rennen, rennen, rennen!" Die Spieler haben irgendetwas gebrüllt, dann sind sie rausgegangen, Graziano Minichiello auch, er hat jetzt nur noch wenige Meter bis zum Spielfeld.

Moment, diese eine Frage noch: Welches System spielt der FC Eintracht eigentlich, Herr Minichiello?

"Muss ich nachdenken", sagt Minichiello, "also: Wir spielen ein 3-1-4-1-1."

An dieser Stelle sei erwähnt: Der FC Eintracht ist Tabellenführer der Kreisklasse Gruppe 2. Ungeschlagen.

Im Fußball der Millionäre und Autogrammschreiber gehört es mittlerweile zum guten Ton, Sachen wie Drei-eins-vier-eins-eins zu sagen. Weil es modern klingt und verdammt schlau, und weil ja auch der Bundestrainer immer von "högschder Disziplin" spricht und damit nicht das altdeutsche Grätschen über der Grasnarbe meint. Grätschen über der Grasnabe, pfui! Drei-eins-vier-eins-eins, so etwas ist heutzutage in, wenn die Großen auftreten, in der Bundesliga und in der Nationalmannschaft.

Aber in der Kreisklasse? Wo die Grasnarbe manchmal knöchelhoch ist, die Kabinen in Häuschen gequetscht werden, alle Fans mit den Spielern verwandt oder bekannt sind und der Spielertrainer eine alltägliche Erscheinung ist?

Graziano Minichiello ist vor zwei Jahren zum FC Eintracht gekommen, damals als Führungsspieler. Er war davor beim Bezirksoberligisten FC Unterföhring, in der Kreisklasse sagen die Leute deshalb respektvoll: Der hat mal höherklassig gespielt. Damals hat Eintracht zu Saisonbeginn dauernd verloren, "die Mannschaft war ein zusammengewürfelter Haufen", sagt Minichiello, "es gab kein System, keine Taktik, keiner hat sich an die Positionen gehalten". Dann haben sie den Trainer entlassen und Minichiello zu dessen Nachfolger gemacht, und dann, sagt Graziano Minichiello, "habe ich sie vor dem Abstieg gerettet".

Im darauffolgenden Jahr sind sie Neunter geworden, "weil wir die Vorrunde verschlafen haben", in der Rückrunde haben sie dagegen siebenmal hintereinander nicht verloren. Und jetzt also, wie gesagt, stehen sie ganz oben in der Tabelle, auf Platz eins. "Die Jungs haben begriffen, worum es geht", sagt Minichiello, nämlich: "Nur die Mannschaft zählt." Die Mannschaft, und das System.

Das Drei-eins-vier-eins-eins des FC Eintracht funktioniert so: Minichiello, Nummer fünf, organisiert als Libero die Abwehr, daneben stehen die Zwei und die Drei, ziemlich groß gewachsene Manndecker mittleren Alters. Davor die Sechs, die noch ein bisschen kleiner ist als Minichiello; im rechten Mittelfeld die Vier, die viel sprintet und neongelbes Klebeband um die Knöchel trägt, im linken Mittelfeld die Neun, im zentralen Mittelfeld die Acht, Kapitän und laut Minichiello taktisch ganz besonders gut ausgebildet, daneben die Zehn.

Die Sechs, die Acht und die Zehn, "das ist mein magisches Dreieck", sagt Minichiello. Die drei rotieren ständig, "wir spielen mit übergeben", sagt Minichiello. Vorne, im Sturm, stehen hintereinander die Sieben und die Elf. Zumindest auf dem Papier. Auf dem Platz stehen die beiden meist nebeneinander, und in ganz wenigen Momenten sogar beinahe aufeinander.

Das Spiel beginnt: schlecht. Nach acht Minuten macht der VfB Sparta mit einem Fernschuss das 1:0, die Abwehr inklusive Torwart hält ihre Position dabei einen Tick zu stoisch. Das System funktioniert noch nicht so richtig: Manchmal sieht es aus wie ein 7-1-2, manchmal aber auch wie ein 1-2-7. Bisweilen hat man das Gefühl, die ganze Mannschaft sei ein einziges magisches Dreieck.

Aber Eintracht besinnt sich, fängt sich. Kurz vor der Halbzeitpause gelingt Nummer Elf der Ausgleichstreffer, und eine Minute später werden sie sogar übermütig: Graziano Minichiello setzt zu einem Solo an - wird aber schon nach ungefähr drei Metern abgegrätscht. "Des derf er net macha", sagt ein Zuschauer hinter der Eintracht-Bank, "naa naa", sagt ein anderer, "des derf er net macha."

In der Halbzeitpause sagt Minichiello, dass man nach hinten konsequenter sein müsse, und er spricht seinen Spielern Mut zu: "Wir variieren von lang auf kurz, das ist gut", sagt er, "so haben wir immer die Möglichkeit, das Spiel zu variieren." Die Elf ruft: "Am Mann stehen und pressen!" Die Zwei sagt: "Wir haben uns eine Halbzeit lang ausgeruht!" Und dann klatschen sie sich ab, gehen raus und gewinnen das Spiel. In der 51. Minute macht die Elf das 2:1, in der 58. sorgt die Sieben mit dem 3:1 für den Endstand.

15:4 Tore, zwölf Punkte, das ist die Bilanz des FC Eintracht nach vier Spieltagen. "Es ist überraschend, dass wir vorne stehen", sagt Graziano Minichiello, "aber verdient."

© SZ vom 16.09.2008/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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