Zehnte Liga (13):Spucken und Schimpfen

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Willkommen in der Kampfzone: Mal erfrischend irrational, mal dumpf aggressiv - die Vernunft ist in der Kreisklasse nicht zu Hause.

Sebastian Gierke

Die SZ begleitet eine Saison lang die Kreisklasse 2. In dieser Spielzeit sind schon drei Spiele abgebrochen worden.

Einer von vielen emotionalen Momenten in der Kreisklasse: Akteure von Rot-Weiß Tunesien um Torwart Mehrez Harbaoui (rechts) streiten. (Foto: Foto: sampics)

Nachspielzeit. Ein Foul, ein Pfiff. Der Schütze von Eintracht München steht schon am Elfmeterpunkt. Der Torwart von Rot-Weiß Tunesien fixiert den Ball. Noch ein Blick zum Schiedsrichter, der muss noch mit einigen Spielern diskutieren, die Gelegenheit ist günstig. Er fixiert, zielt - dann spuckt er. Sekunden später hechtet der Torwart vergeblich dem von ihm selbst besudelten Spielgerät hinterher. Er kann und braucht es nicht mehr in die Hände zu nehmen: Tor. Das Spiel ist entschieden. 3:1 gewinnt Eintracht München gegen Rot-Weiß Tunesien.

Es war ein turbulentes, hektisches, lautes Spiel. Zwei Spieler der Eintracht geraten aneinander, beschimpfen sich, es hätte nicht viel gefehlt, sie wären mit Fäusten aufeinander losgegangen. Dann Rudelbildung. Dann Schiedsrichterbeschimpfungen. Dann eine Schwalbe. Dann ein Pfostenschuss. Dann gehen Spieler von Rot-Weiß auf einen Mannschaftskameraden los. Dann die Spuckattacke auf den Ball.

Immer Geschrei, immer Hektik, immer liegt Spannung schwer wie der Novembernebel über dem Spiel. Es ist eines dieser Spiele. Eines dieser Spiele, in dem es knapp unter der Grasnabe brodelt, in denen es jederzeit zu einem Ausbruch kommen kann, fern jeder Kosten-Nutzen-Rechnung, jeder Klugheitslehre, jeder fußballökonomischen Vernunft.

Drei Spiele wurden bereits abgebrochen

Diese Ausbrüche, diese irrationalen Momente, es hat schon einige gegeben in dieser Saison in der Kreisklasse Mün-chen 2. Drei Spiele wurden von den Schiedsrichtern bereits abgebrochen. Zum Vergleich: Der letzte Spielabbruch in der Bundesliga war im April diesen Jahres - wegen zu viel Regen. Es war der erste seit 32 Jahren.

Dagegen die Kreisklasse 2, 28. September, FC Alte-Haide-DSC gegen den SV Kermelikspor. Es steht 1:0, Kerme-likspor drückt. Die Atmosphäre wird hitziger. Der Schiedsrichter schickt einen Spieler von Kermelikspor wegen Reklamierens mit Gelb-Rot vom Platz. Die Atmosphäre wird noch hitziger. Der Kermelikspor-Libero lässt einen Gegenspieler auflaufen.

Die Entscheidung des Schiedsrichters: Elfmeter. Der Libero ist aufgebracht, gestikuliert wild, springt im nächsten Moment den Schiedsrichter an. Nicht schlimm, er will ihm eigentlich nur zeigen, wie das gerade abgelaufen ist. Doch der Schiedsrichter bricht das Spiel ab. Er muss. Sobald ein Schiedsrichter tätlich angegangen wird, bleibt ihm keine Wahl.

Der des Feldes Verwiesene spuckt den Schiedsrichter an

12. Oktober, TSV 1954 München gegen den FC Schwabing. Schwabing führt 3:0. Das Spiel ist gelaufen. Es ist ein faires Spiel, wird der Schwabinger Fußball-Abteilungsleiter später sagen. "Das waren wir gar nicht gewohnt, bei 54 ging es bisher immer rund." In der 70. Minute meckert aber ein Spieler von 1954 München, er hat schon Gelb. Der Schiedsrichter baut sich vor ihm auf und zieht Gelb-Rot. Und dann, dieser Moment, in dem manchen die Vernunft abhanden kommt. Der des Feldes Verwiesene spuckt den Schiedsrichter an. Spielabbruch. Der Verein schmeißt den Spieler raus.

2. November, FC Alte-Haide-DSC gegen den FC Eintracht München. Das Spiel ist nach fünf Minuten eigentlich gelaufen. Alte-Haide überrollt die Eintracht: 3:0. Was dann kommt, ist für die Kreisklassengeschichtsbücher. Einer von Eintracht München fliegt vom Platz. Noch neun Feldspieler. Bald steht es 4:0, 5:0. Den Anstoß nach dem 6:0 führt ein Stürmer der Eintracht zweimal falsch aus. Er muss ihn wiederholen. Beim dritten Mal provoziert er den Schiedsrichter, macht ihn nach. "Ist es so recht, Schiri?" Der stellt ihn vom Platz.

Noch acht Feldspieler. Es kommt immer wieder zu Tumulten, die Eintracht fühlt sich ungerecht behandelt, sagt das deutlich. Zu deutlich. Noch sieben Feldspieler. Einer verletzt sich, doch die Eintracht hatte schon drei Mal gewechselt. Noch sechs Feldspieler. Der Vorstand von Alte-Haide, Franz Grundner, sagt, der Trainer der Eintracht hätte seine Spieler aufgefordert, weiter zu provozieren, sich absichtlich vom Platz stellen zu lassen, so lange, bis das Spiel abgebrochen werden muss. Graziano Minichello behauptet, nur gerufen zu haben: "Holt euch doch alle Gelb-Rot. Das macht doch keinen Sinn mehr", es aber nicht ernst gemeint zu haben. Einer seiner Spieler nimmt es ernst. Noch fünf Feldspieler. Jetzt hat es auch der Schiedsrichter eingesehen. Das macht keinen Sinn mehr. Spielabbruch.

Ist das die echte Fußball-Show?

Ist das alles gut? Ist das alles unterhaltsam? Ist das die echte Fußball-Show? Ist das unverbrauchte, unverstellte Emotion von Männern auf der Kampfbahn, dem Bolzplatz? Nein, natürlich nicht. Nicht alles davon. Spucken, Schlagen, Schimpfen, dumpf-aggressive Männlichkeitsrituale haben auf keinem Fußballplatz, egal ob Multifunktionsarena oder Bezirkssportanlage, etwas verloren.

Trotzdem ist vieles hier erfrischend, im Vergleich zu den höheren und höchsten Ligen, im Vergleich zum Geschäft Fußball, das immer mehr glatte Vorbildtypen produziert und immer weniger kratzige Originale, in dem häufig selbstherrliche Fußballfunktionäre, Spieler, Trainer, Fans und Journalisten ihre Gewohnheiten, die meist irgendwas mit Geldverdienen zu tun haben, für die Grundregeln der Fußballwelt halten.

Mit großer Anstrengung danebenhauen, danebenschießen, danebengreifen: Das dagegen ist die Methode in den Niederungen des Fußballs. Und das kann Spaß machen, Spielern und Zuschauern. Willkommen in der Kampfzone. Willkommen in der Kreisklasse 2, wo manchmal nicht ganz so viel Wert auf Kosten-Nutzen-Rechnung, Klugheitslehre und fußballökonomische Vernunft gelegt wird.

© SZ vom 18.11.2008/af - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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