Wolfratshauser Frühstück:Mehr Satire denn Geschichte

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Kritik an der Überhöhung einer kuriosen Kanzlerkür

"Das letzte Staatsgeheimnis" vom 15. September:

Entweder wollte Wolfgang Wittl das "weltberühmte Frühstück" von 2002 in Wolfratshausen allen Ernstes zum großen geschichtsbuchwürdigen Ereignis aufblasen, oder es hat sich eine wohlfeile Satire in die Serie "Schauplätze" bayerischer Geschichte verirrt. "Das letzte Staatsgeheimnis", so die Überschrift, signalisierte den Start eines politisch brisanten Heißluftballons, der jedoch von den gewichtslastigen Komponenten des Stoiberschen Frühstücksarrangements "Käse, Schinken, Semmeln, Brot, Eier, Obst, Kaffee und Saft" schlaff am Boden gehalten wird. Nun, Frau Merkel und Herr Dr. Stoiber haben damals, wie der Autor mit Zitat zu belegen versucht, "dem deutschen Frühstück in Wolfratshausen wieder zu mehr Achtung und Anerkennung verholfen". Eine historische Singularität, aber ohne geistigen Nährwert für den Leser!

Das bayerische Kabinett sollte schleunigst dieses Ereignis zum Anlass nehmen, den beiden das Verdienstkreuz mit Semmel und Käse am weißblauen Band zu verleihen oder es mit einem alljährlichen Gedenkfrühstück zu verankern. Möglicherweise fiele für die Flößerstadt der Zusatztitel "Stadt des deutschen Frühstücks" ab. Welche Selbstwertsteigerung ergäbe eine eventuelle Anfrage der Unesco beim Obergebirgsschützen Edmund, ob er die Aufnahme seines Loisachtaler Frühstücks in die Kulturerbeliste erlaube. Graf Pocci hätte mit dem Artikel für sein Kasperlszenen-Repertoire eine substantielle Anregung gehabt. Kasperl und Gretel würden die Frühstücksakteure gleichwertig ersetzen.

O felix Bavaria, wenn schon das Wolfratshauser Morgenritual des ach so selbstlosen bayerischen Bundeskanzlerkandidaten in deinen Gauen solche Faszination auslöst! Irritiert fragt man dennoch, wer nach 15 Jahren "die Leute" sind, die das "Mysterium" dieses Frühstücks so brennend interessiert. Der SZ-Autor täte besser daran, statt ein Politfrühstück auf zwei Dritteln einer Seite hochzustilisieren, die Rücksichtslosigkeit und Rechtsmissachtung von Heimatzerstörern aus den Reihen der CSU - Stichwort Isental oder Riedberger Horn - immer wieder anzuprangern, vehement die Konsequenzlosigkeit jüngster oder schon wieder vergessener Lebensmittelskandale und Tierschutzvergehen in Erinnerung zu rufen, moralisches Versagen von Politikern wie in der Familienbeschäftigungsaffäre zu brandmarken oder an den bildungspolitischen Flurschaden des Sparwüters Stoiber mit seiner abgetauchten Kultusministerin Hohlmeier zu erinnern. Der unüberlegt verordnete Reifegrad für Abiturienten nach acht Jahren - Stoiber selbst benötigte immerhin zehn! - hat Steuermillionen verschlungen und beim unumgänglichen G9-Umbau, den sich die CSU jetzt vollmundig als politische Eigenleistung anrechnet, bedient sie sich erneut unserer Steuern. Amtshaftung des Verursachers ist nicht vorgesehen. Die unumgängliche Aufstockung der einst von Stoiber zusammengestrichenen Polizeistellen schreibt der Innenminister werbewirksam seiner wohlwollenden Weitsicht zu. Es wäre sicher im Sinne Stoiberscher Sparideologie, bayerischen Polizeibeamten die Rundumbewachung des Loisachtaler Frühstücksheims zu ersparen. Der Patrona Bavariae sei Dank, dass Deutschland und Bayern dieser Mann mit seinen transrapiden Gedankensprüngen und dem sich selbst überholenden Hochgeschwindigkeitsdenken und Reden als Kanzler erspart geblieben ist. Nicht ohne Grund zeigte ihm einst die eigene Partei in Wildbad Kreuth seine Grenzen. Hans Gilg, Germering

© SZ vom 25.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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