Trend zur Natur:Letzte Ruhe unter Bäumen

Lesezeit: 3 min

Immer mehr Menschen entscheiden sich für ein naturnahes und pflegeleichtes Begräbnis unter den Wurzeln einer Buche, Tanne oder Lärche. Bis zum Sommer 2020 soll ein solcher Friedwald auch in Dietramszell entstehen. Dieser soll nicht nur Einheimischen vorbehalten sein

Von Petra Schneider

Friedhöfe sind angelegte Orte der Erinnerung an Verstorbene. Die Gräber können individuell gestaltet werden, und vor allem an Allerheiligen treffen sich dort Angehörige und Verwandte. Seit einigen Jahren gibt es eine andere Form der Bestattung, die sich zunehmender Beliebtheit erfreut: Bestattungswälder, wo Menschen nicht auf einem Friedhof, sondern am Fuße eines Baumes ihre letzte Ruhe finden. Die Beisetzung erfolgt in einer Urne, auf einer Tafel wird der Name des Verstorbenen angebracht. Grabpflege oder eine Gestaltung mit Kränzen oder Gestecken ist weder nötig, noch erwünscht. Moos oder ein Buschröschen am "Ruhebaum" seien freilich möglich, "alles was aus der Natur kommt", sagt Adina Lauer. Sie ist Mitarbeiterin beim Unternehmen "Waldruh" und leitet den Bestattungswald St. Katharinen am Bodensee. Inzwischen betreibt das Unternehmen mit Sitz in Nördlingen auch Bestattungswälder in Harburg und Ostalp. Im kommenden Sommer soll ein weiterer im Dietramszeller Wald dazukommen.

Bereits im November 2016 hat der Dietramszeller Gemeinderat beschlossen, einen entsprechenden Bebauungsplan aufzustellen. Das Verfahren verzögerte sich jedoch, weil Stellungnahmen der Unteren Naturschutzbehörde und eine Kartierung der Waldbiotope auf sich warten ließen. Man erwarte nun die Genehmigung des Landratsamts, sagt Lauer. Die Nachfrage in der Gemeinde ist groß; es gebe bereits viele Anfragen, hatte Bürgermeisterin Leni Gröbmaier (BLD) im Juli erklärt. Im Zeller Wald ist eine 18 Hektar große Fläche östlich des Waldweihers vorgesehen. Waldbesitzer Fabian von Schilcher verpachtet sie mit einer Grunddienstbarkeit auf 99 Jahre an die Gemeinde. Etwa 80 Bäume je Hektar sind als Bestattungsorte möglich - bis zu 100 Jahre alte Buchen, Tannen oder Lärchen. Die einzige "bauliche Anlage" ist ein rund 300 Quadratmeter großer, an den Seiten offener Andachtsplatz, der etwa 150 Meter vom Waldweiher entfernt Richtung Hang entstehen soll. Auch 20 neue Parkplätze sind vorgesehen, die auf zwei Standorte am vorhanden Forstweg verteilt werden. Dort soll auch eine holzverkleidete Trockentoilette gebaut werden. Die Fläche werde erkennbar abgegrenzt, sagt Lauer. Auf Lageplänen seien die mit Namensschildern gekennzeichneten Bäume eingezeichnet. Das Gelände stehe Erholungssuchenden und Badegästen weiterhin offen, betont der Waldbesitzer. "Sofern sie auf den Pfaden bleiben und sich dem Ort entsprechend verhalten." Er wolle den Grund verpachten, "weil ich einen Bestattungswald für eine schöne und sinnvolle Alternative halte". Im Landkreis wäre dieses Angebot bislang einmalig. In Geretsried ist zwar über ein ähnliches Konzept gesprochen worden, man hatte sich aber dann für einen "Urnengarten" entschieden, der vor drei Jahren im Waldfriedhof eröffnet wurde: Ein mit 18 verschiedenen Grabsteinen eingefasstes Rund, in dem 36 Urnen Platz finden. Der Urnengarten wird von einem Gärtner gepflegt.

Der Waldweiher lockt mit seiner Idylle und Ruhe Spaziergänger an. In der Nähe soll bis zum kommenden Sommer ein Friedwald entstehen, Erholungssuchenden und Badegästen bleibt das Areal aber weiter offen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Das Konzept des Bestattungswaldes unterscheidet sich davon: Denn die Urnengräber befinden sich im Wurzelbereich der "Ruhebäume", die Verstorbenen sollen so unmittelbarer Teil des natürlichen Kreiseislaufs werden. Mit Esoterik habe das nichts zu tun, betont Lauer: "Wir legen Wert auf die christliche Basis unserer Bestattungswälder." Eine konfessionelle Bindung gebe es nicht, die Trauerfeier richte sich nach den Vorstellungen des Verstorbenen oder deren Angehörigen. So könne es eine Trauerfeier am Andachtsplatz geben, die von einem Pfarrer oder einem Waldruh-Mitarbeiter gestaltet wird. Der Dietramszeller Bestattungswald steht nicht nur Einheimischen offen. Jeder könne dort eine Ruhestätte erwerben und die Trauerfeier von seinem zuständigen Pfarrer gestalten lassen, sagt Lauer. Ein Mitarbeiter des Betreibers erledigt für die Gemeinde die Verwaltung: Er begleitet Interessenten oder Hinterbliebene bei der Auswahl eines Baumes durch den Wald, klärt den Ablauf der Trauerfeier und bereitet das Urnengrab vor. An den Aufgaben von Bestattungsunternehmen, die die Angehörigen im Vorfeld betreuen, ändere sich nichts. Die Preise für einen "Ruhebaum" sind nach dessen Lage und Größe gestaffelt; es gibt Familienbäume oder Gemeinschaftsbäume, Folgekosten für Grabstein oder Grabpflege entfallen.

Der erste Bestattungswald wurde 1999 in der Schweiz eröffnet, das Konzept fand auch in Deutschland und Österreich Anklang. "Die Verbundenheit zum Wald ist in Deutschland besonders ausgeprägt", sagt Lauer. Neben den weltanschaulich-religiösen Gründen gibt es auch praktische Argumente: Weil durch berufliche und gesellschaftliche Veränderungen die Mobilität steigt und Menschen öfter den Wohnort wechseln, sei eine dauerhafte Grabpflege für viele nicht mehr leistbar, sagt Lauer. Im Bestattungswald übernehme die Natur die Gestaltung. Vonseiten der Kirchen gab es anfangs Kritik: Wenn Verstorbene keinen Ort im Lebensraum mehr hätten, bestehe die Gefahr, dass sie aus dem kulturellen Gedächtnis fielen, hieß es. Leicht erreichbare Friedhöfe, Grabpflege und Zeichen des Gedenkens stünden hingegen für diese Verbundenheit. Diese Meinung habe sich inzwischen geändert, sagt Lauer. In Gesprächen mit Erzdiözesen seien Vorbehalte ausgeräumt worden. In Deutschland, Österreich und der Schweiz ist das Friedhofswesen Sache der Bundesländer. In den meisten, auch in Bayern, gilt eine Friedhofspflicht: Verstorbene oder deren Asche dürfen nur an dafür vorgesehenen Arealen bestattet werden, Ausnahmen sind Seebestattungen oder Bestattungswälder. Die Bereitstellung von Friedhöfen zählt zu den kommunalen Pflichtaufgaben. "Jeder Bestattungswald ist auch ein Friedhof unter dem Dach der Gemeinde", sagt Lauer. In St. Katharinen gebe es an Allerheiligen stets eine Gedenkandacht. "Das wir mit Sicherheit in Dietramszell im kommenden Jahr auch so gemacht."

© SZ vom 31.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: