Tölzer Prügel:Zu früh ans Werk

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Kunst braucht Rahmen, auch zeitliche

Von Matthias Köpf

Die Vandalen kommen immer zur Unzeit. Schon die ganze Völkerwanderung war so nicht geplant, und die Plünderung Roms im Jahr 455 kam - zumindest aus römischer Sicht - auch viel zu früh. Den Wolfratshausern geht es mit ihren Vandalen nicht anders. Die sind zwar insofern zuverlässig, als dass sie ziemlich sicher kommen, wenn an der alten Floßlände ein neues Kunstwerk steht. Doch wer hätte schon ahnen sollen, dass die Vandalen gleich in der Nacht auf Dienstag ans Werk gehen, obwohl der in weiser Voraussicht bestellte Sicherheitsdienst doch erst nach der Kunstmeilen-Vernissage an diesem Freitag mit dem Patrouillieren anfängt.

Dem Dienst bleibt jetzt nur noch, den Ladenschluss um 22 Uhr durchzusetzen, wobei die Schwierigkeit in Wolfratshausen nicht darin besteht, die Händler zum pünktlichen Zusperren anzuhalten, sondern sie überhaupt zum Aufsperren zu bewegen. Immerhin dürfen laut amtlicher Ausnahmegenehmigung auch die Kirchen bis 22 Uhr offen halten, danach müssen sie Beratung und Verkauf einstellen und vom Handel ablassen.

Was die Kunst betrifft, muss sich die Meile eben von der Fixierung auf Malerei und Plastik lösen und sich neuen Gattungen öffnen. So gibt es seit den Sechzigerjahren Happenings und die Landart, die ihre Werke in freier Natur der Vergänglichkeit anheimstellt. Natürlich ist da der Betrachter stärker gefordert. Er muss auch mal aktiv werden, statt sich rein passiv in die Werke zu versenken. Die aktive Kunstversenkung hat in Wolfratshausen ja eine Tradition, die bis 1991 zurückreicht, als fromme Bilderstürmer Anton Ferstls Madonna von der Marienbrücke in die Isar befördert haben. Und gegen zeitgenössische Theorie-Kunst käme selbst vorzeitiger Vandalismus sowieso nicht mehr an, denn die besteht vor allem aus Thesen und Definitionen. Das Material könnte der Künstler einfach an die Floßlände legen und schauen, was über Nacht daraus wird. Der wahre Vandalismus wäre dann womöglich, das alles mal liegen und stehen zu lassen.

© SZ vom 25.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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