Tölzer Prügel:Verbünden statt Fronten bilden

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Der Protest gegen 5G nimmt reichlich spät Fahrt auf. Den Kritikern sollte es deshalb nur noch um Steuerung gehen, nicht mehr um Verhinderung

Kolumne von Claudia Koestler

Es dürfte nicht nur das berühmteste Zitat von Michail Gorbatschow sein, sondern auch eines der meist bemühten überhaupt: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben." Und leider, leider passt es auch dieses Mal wieder, nämlich in der aktuell aufbrandenden und teils hitzig geführten Debatte um die Einführung des neuen Mobilfunkstandards 5 G.

Natürlich ist es gut und vor allem wichtig, dass sich derzeit landauf landab die Bürger informieren - samt Warnungen vor möglichen mannigfachen Gefahren, die mit der neuen und irgendwann einmal flächendeckenden Funkstrahlung einhergehen könnten. In vielen Kommunen formieren sich deshalb gerade Bürgerinitiativen, Plakate werden in Feldern und an Ortseingängen aufgestellt, Gemeinderäte überlegen, Informationsveranstaltungen abzuhalten und - wie im Falle von Icking kürzlich - nehmen Bürger auch das Heft in die Hand und laden selbst zu eigenen Infoveranstaltungen ein, mit eigenen Experten.

Doch eines muss auch klar sein: All dieser Widerstand, er kommt reichlich spät. Vielleicht sogar zu spät. Denn wo waren die Warnungen und Proteste, als die Bundesnetzagentur die Lizenzen für 5 G im Frühjahr versteigert hat? Es mag ein neuer Mobilfunkstandard sein, die grundsätzlichen Bedenken der Gegner aber, zumindest die gesundheitlicher Art, sind ja sattsam bekannt, weil sie auch schon bei nahezu allen Mobilfunktechniken zuvor genannt wurden - auch und besonders von Bürgerinitiativen der Region. Kurzum, der Dreck ist mit der Lizenzvergabe schon im Schachterl. Was jetzt noch an Eingrenzung und verträglichem Ausbau möglich ist, wird für die Kommunen nicht einfach umzusetzen sein. Und es wird aller Voraussicht nach immer eine Kompromisslösung sein, kein ganz oder gar nicht. Das mag manchen zu wenig sein. Dennoch sollten die Städte und Gemeinden von den Bürgerinitiativen nicht als Gegner gesehen werden, sondern als Verbündete. In einem Kampf, bei dem jedoch, so viel Realist muss man sein, schon viel Boden verloren ist. Es kann also nur noch um eine Art der vorsorglichen Begrenzung gehen, nicht der Verhinderung.

Und noch ein Wort der Warnung: Wenn die Bürgerinitiativen das bisschen Spielraum, das bleibt, nicht zerstören wollen, müssen die Argumente sachlich und faktenbasiert bleiben und Zukunftsszenarien im Konjunktiv. Ist nämlich auch nur eine Behauptung nachweislich falsch, wird der Protest und die Unterstützung wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Und das wäre fatal für eine eigentlich richtige Richtung: Fortschritt ist nicht aufzuhalten - er darf aber auch nicht auf Kosten von Mensch, Tier und Natur gehen.

© SZ vom 04.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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