Tölzer Prügel:Nur Verdruss, wenn man muss

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Was sucht die Reisegruppe nach Ankunft am dringendsten?

Von Klaus Schieder

Wer Reiseleiter werden will, lernt schon in den ersten Stunden der Ausbildung, was eine Busgruppe nach der Ankunft in einem Urlaubsort am dringendsten sucht. Die nächste Sehenswürdigkeit? Mitnichten! Das beste Café? Schon besser, aber auch verkehrt. Vielleicht eine nahe Toilette? Treffer!! Deshalb muss jeder Reiseführer zwingend wissen, wie viele WC in welchem Ort wie schnell zu erreichen sind. Schließlich geht es manchmal um Sekunden. In Mittenwald ist das zum Beispiel einfach. Gleich neben der Fußgängerzone liegt ein kleiner Busbahnhof mit einem schönen Wartehaus, in dem sich ein hochmodernes Örtchen befindet: Alles riecht frisch nach Zitrone, der Fußboden glänzt spiegelblank, in den Toiletten läuft selbstreinigend das Wasser. Natürlich hat eine solch hohe Aufenthaltsqualität auch ihre Nachteile: Manche Busreisegäste verweilen darin womöglich länger, als für Cafés, Restaurants und Souvenirläden am Ort zuträglich ist.

In Bad Tölz ist man in dieser Frage quasi einen Schritt weiter, weil drei hinterher: Die ehemalige Kurstadt hat für Tagestouristen mit Bürgergarten, Busbahnhof und Zentralparkhaus gleich drei öffentliche WC-Anlagen im Zentrum, die aber lange nicht so penetrant steril sind wie die in Mittenwald. Sie bieten vielmehr noch das unvergleichliche Flair der Fünfziger- und Sechzigerjahre: urinverklebte Böden, kaltes Wasser aus dem Hahn, keine Papiertücher, beißenden Gestank, WC-Sitze mit ... Ach ja, so war das damals, schwelgt der Gast in Nostalgie und verdrückt sein Bedürfnis doch lieber bis zum Café. Und wenn die Urlauber wieder daheim sind, haben sie was zu erzählen. "Weeste, Karl, was se in Tölz für jebumfidelte Klosetts haben ..."

Daran wird sich so rasch nichts ändern. Aus dem Rathaus heißt es zwar seit Jahren, dieses Entrée sei vielleicht doch zum Schämen, aber das bedeutet nichts. Die Stadt hat für Profanes wie WC-Sanierungen kein Geld. Das braucht sie für Projekte wie die Heilige, pardon ... Neue Tölzer Hotelkultur, durch die mehr Übernachtungsgäste kommen sollen. Den Tagestouristen, die etepetete sind, bleibt ja noch der Reiseleiter. Der weiß sicher einen versteckten Busch an der Isar.

© SZ vom 13.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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