SZ-Serie: Bau-Geschichten, Teil 4:Nahrung für Verstand und Herz

Lesezeit: 3 min

Andreas Pehl kam zum Doppelstudium der Theologie und Sozialen Arbeit nach Benediktbeuern. Damals lernte er den Barocksaal kennen und lieben - und begann dort auch seine Musikkarriere als Sänger

Von Sabine Näher

Dieser Raum hat für mich eine faszinierende Ausstrahlung", sagt Andreas Pehl über den Barocksaal des Klosters Benediktbeuern. "Vor allem die theologische Aussage, die im zentralen Deckengemälde steckt, begeistert mich immer wieder." Dort ist der Zug des Menschen durch das Leben abgebildet, bis zum Tor des Todes, das von Skeletten umrahmt wird. Dass ein Musiker seinen Kollegen vor dem Konzert den Saal mit kunsthistorischem Detailwissen erläutert, kommt nicht alle Tage vor. Wer aber von Pehl für sein Silvesterkonzert im Barocksaal engagiert wird, erlebt indes genau das. "Da müssen sie durch!", sagt der Sänger ungerührt. Dieser missionarische Eifer kommt nicht von ungefähr. Ehe er zum Gesang wechselte, hat Pehl in Benediktbeuern Theologie und Soziale Arbeit studiert. Dieser Doppelstudiengang - die Absolventen erhielten gleich zwei vollwertige Diplome - war damals eine Besonderheit, die nur in Benediktbeuern angeboten wurde, weshalb der gebürtige Münchner 1996 seine Studierstube an die Loisach verlegte.

Das Deckengemälde "Der Wagen des Lebens" bildet das Herzstück des Barocksaals im Kloster Benediktbeuern. Der Tiroler Maler Stephan Kessler schuf dieses zusammen mit dem Baumeister Caspar Feichtmayr. (Foto: Manfred Neubauer)

"Leider gibt es das mittlerweile nicht mehr", bedauert Pehl, der bei seinem Professor für Kunst- und für Kirchengeschichte, Pater Leo Weber, eine Ausbildung zum Klosterführer machte. Als solcher war er mindestens einmal pro Woche mit Reisegruppen oder Schulklassen unterwegs in der Klosteranlage. Gute 20 Minuten, aus denen nicht selten auch eine halbe Stunde werden konnte, brachte Pehl dann im Barocksaal zu, erläuterte genau das Deckengemälde. "Der Mensch wird hier in seine Einzelteile zerlegt: Körper, Geist und Seele werden mit verschiedenen Personen dargestellt", erklärt er. "Gezogen von seinen Emotionen geht der Mensch durchs Leben. Über allem thront die Vernunft, die eine Fackel in Händen hält und das Ganze erleuchtet."

Der Barocksaal hat neben Gold und Stuck auch das Wappen von Benediktbeuern zu zeigen. (Foto: Manfred Neubauer)

Während mit diesem Gemälde der Verstand angesprochen werde, sei auch "fürs Herz" einiges zu finden, insbesondere in den Details der Monatsdarstellungen, die um die Decke herumlaufen. Die Kinder beim Schlittschuhfahren auf dem See oder das Schlachtfest, bei dem ein Kind mit einer Schweinsblase Ball spielt, haben es Pehl besonders angetan. "Man muss bedenken: Wir befinden uns hier im Frühbarock!", erklärt er. "Diese Darstellungen haben so etwas Menschliches, machen diese barocke Pracht fassbar, holen sie von ihrem hehren Sockel herunter und erden sie." Gerade die Kinder hätten bei den Führungen unzählige Fragen gestellt und sich völlig auf die Atmosphäre eingelassen.

Der Sänger Andreas Pehl kann kundig durch den Barocksaal führen. (Foto: Manfred Neubauer)

Ehe sich Pehl endgültig seiner großen Liebe, dem Gesang, zuwendete, schloss er 2001 das Studium in Benediktbeuern mit Doppeldiplom ab. Privat hatte er schon lange Gesangsunterricht genommen, doch erst der Wechsel ins Countertenor-Fach brachte die Entscheidung, den Schritt zur Sängerlaufbahn zu wagen. An der Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig studierte er von 2001 bis 2006 Gesang in der Abteilung Alte Musik - wieder ein besonderer Studiengang, den es heute so nicht mehr gibt.

Die Verbindung zur oberbayrischen Heimat riss unterdessen nicht ab, nicht zuletzt, weil Pehls Ehefrau Eva eine gebürtige Lenggrieserin ist. Und so wagte das Paar an Silvester 2001 den Versuch, zum Konzert in den Benediktbeurer Barocksaal zu laden. Das Wagnis ging auf: Der Saal wurde voll, das Publikum war begeistert, der Termin wurde Kult. Fester Partner Pehls am Cembalo ist der Münchner Musiker Robert Schröter; dazu werden je nach Programm ein bis zwei wechselnde Kollegen eingeladen, denen der Sänger den Saal immer aufs Neue erklären kann. Einen Jahresabschluss ohne dieses Konzert können sich weder Pehl noch Schröter vorstellen. Auch das Publikum strömt alljährlich in Massen hinzu. "Ich habe immer den Eindruck, dass die Zuhörer hier besonders entspannt sind", sagt Pehl. "Schon der Weg hier herauf, über die alten, ausgetretenen Stiegen, wirkt wie eine Entschleunigung." Dazu komme die altehrwürdige Ausstrahlung des Saales selbst, "der übrigens aufgrund seiner Spiegelkastendecke eine ganz hervorragende Akustik hat", wie Pehl sagt. Mittlerweile ist die ganze Familie im Einsatz: Eva Pehl managt und macht die Abendkasse, ihr Vater den Saaleinlass, ihre Mutter gemeinsam mit allen den Sektverkauf in der Pause. Die Töchter, sechs und neun Jahre alt, dürfen am Schluss die Blumen überreichen. "An den Kindern sieht man, wie die Zeit vergeht. Ich weiß noch, wie Theresa im Nebenraum während des Konzerts auf dem Lammfell geschlafen hat. Und jetzt schenkt sie den Pausensekt aus." Gleichwohl gab es Überlegungen, den Ort zu wechseln. Zum einen vor zwei Jahren, als die Saalmiete, die zuvor moderat gewesen war, stark erhöht wurde. Der gemeinsame Protest vieler Kulturschaffender konnte die Klosterleitung jedoch zu einem Kompromiss bewegen. Und zum anderen fehlt jegliche gewohnte Infrastruktur - für Musiker wie Publikum. Selbst die Bühne muss immer wieder mit dem Akkuschrauber neu befestigt werden. Aber: "Ich liebe den Saal", sagt Pehl. "Dort ist unser Silvesterkonzert zuhause. Und dort haben Robert und ich unsere Musikerkarriere gestartet."

© SZ vom 26.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: