Burgherren:Im Reych der Ritterspiele

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Die Mitglieder der Schlaraffia "Im Isarwinkl" persiflieren die Adelswelt des Mittelalters. Sie treffen sich, um Freundschaft, Kunst und Humor zu pflegen. Doch nur Männer dürfen mitmachen

Von Benjamin Engel

Für die einen ist es der August des Jahres 2018, für Werner Sebb hingegen ist es Erntemond, anno Uhu 159. Im Keller eines Hauses in der Geretsrieder Sudetenstraße sitzt Sebb allein in der Burg der Schlaraffia "Im Isarwinkl" an einem der langen Tische. In der Sommerzeit ist der mit Wappen und Orden an den Wänden reich ausstaffierte Raum verwaist. Nur im Winter - während der "Winterung" treffen sich dort Knappen, Junker und Ritter einmal wöchentlich. Sie essen und singen gemeinsam, tragen Gedichte vor oder messen sich im Rededuell zu einem bestimmten Thema. "Wir spielen ein Spiel", berichtet Sebb. "Es sollte nichts ernst genommen werden."

Zu den "Sippungen" - so nennen die Schlaraffen ihre wöchentlichen Treffen - legen die Mitglieder ihre Alltagsidentität für ein paar Stunden ab. Sie legen sich Orden an und die Ritter streifen sich Mützen, sogenannte "Helme", über. So verdeutlichen sie schon allein optisch, dass nun eine vollkommen andere Welt beginnt. "Man ändert seinen Namen, die Kleidung und legt alles ab, was mit dem Profanen zu tun hat", berichtet Sebb. Er selbst ist in dem Männerbund schon seit etwa drei Jahrzehnten aktiv und nur als "Ritter Syngthetix" bekannt. Das komme daher, dass der Geretsrieder Chemieingenieur war und eine Chorvereinigung leitet. Seine Ritterbezeichnung leite sich von synthetisch und Singen ab, sagt Sebb. Genau so, wie es bei den Schlaraffen sein sollte. "Der Name sollte immer zwei- bis dreideutig sein."

Was für Außenstehende nach unsinniger Maskerade klingt, hat eine lange Tradition. Ensemblemitglieder des Deutschen Theaters in Prag gründeten 1859 die Urzelle der Schlaraffenbewegung. Die Künstler verstanden sich als Gegenpol zum damals gesellschaftsbestimmenden Adel. Dessen Riten und Gebräuche persiflierten sie in ihrem Männerbund. Daraus entwickelten sich die Hierarchien von Knappen, Junkern und Rittern und die an das Deutsch im Hochmittelalter angelehnte Sprache. "Unsere Sprache ist Deutsch", schildert Sebb. Gebräuchlich ist auch die Bezeichnung "Schlaraffenlatein".

Damit unterhalten sich die Mitglieder in allen Zusammenschlüssen weltweit von Europa bis nach Nord- und Lateinamerika. So kann Sebb ganz selbstverständlich vom Erntemond, anno Uhu 159 sprechen. Sofort versteht jeder im Männerbund, dass er vom August 2018 spricht. Die Bezeichnung Erntemond steht für den achten Jahresmonat genauso wie beispielsweise Wonnemond für den Mai. Gezählt wird von der Gründung des ersten Prager Männerbunds vor 159 Jahren nach dem Uhu. Das Tier ist als Vogel der Weisheit für die Schlaraffen wichtig.

Der Uhu ist das Logo des Vereins. (Foto: Hartmut Pöstges)

In Prag soll ein Uhu im Käfig laut Sebb bei den Treffen immer im Raum gewesen und Geräusche von sich gegeben haben. So habe sich eingebürgert, dass sich die Schlaraffen mit "Uhu" oder "Lulu" begrüßten. In Geretsried verneigen sich die Mitglieder zu Sitzungsbeginn nur vor einem ausgestopften Exemplar, das mit ausgebreiteten Schwingen auf einem Ast sitzt. Nur zur "Winterung" zwischen Anfang Oktober und Ende April treffen sich die Schlaraffen. Beim Geretsrieder Zusammenschluss "Im Isarwinkl" organisieren sie ihre "Sippungen" immer am Donnerstagabend. Es gehe darum, die Werte von Freundschaft, Kunst und Humor zu pflegen, sagt Sebb. Ganz bewusst würden Politik und Religion ausgespart. Verpönt sei es auch, Treffen für geschäftliche Kontakte zu nutzen.

Wer sich unbotmäßig verhält, kommt ins Verlies. (Foto: Hartmut Pöstges)

In den Zusammenschlüssen gibt es klare Hierarchien und Ämter mit verschiedenen Aufgaben. An der Spitze steht jeweils ein "Kantzler". Es gibt einen Marschall und Zeremonienmeister. Oberschlaraffen leiten die Sippungen und erteilen das Wort. Nur dann dürften die "Sassen", die anwesenden Mitglieder, reden. Als einziger könne der Hofnarr jederzeit das Wort ergreifen. Wer sich unbotmäßig verhalte, komme ins Verlies, einen vergitterten, abgetrennten Bereich in einer Ecke des Raumes. Wieder heraus komme der Gemaßregelte nur, wenn er einen Vierzeiler vortragen könne.

Nach einem genau festgelegten Schema läuft jede Sippung ab. Die Oberschlaraffen begrüßen zu Beginn jeden Anwesenden. Die ortsansässigen Sassen stellen sich zur Schwertergasse auf, unter der die Gäste in die Burg - den Raum der Zusammenkünfte - einziehen und so empfangen werden. Der Marschall verliest das Protokoll der vorhergehenden Sitzung. Es wird besprochen, wer welche "Reyche" (so heißen die Zusammenschlüsse) besucht hat. Die Mitglieder singen für die Geburtstagskinder Ständchen.

Daran schließen sogenannte Fechsungen an. Die Ritter musizieren, tragen Gedichte vor oder zeigen andere Kunstfertigkeiten wie selbst gemalte Bilder. "Sinn des Abends ist es, sich auf vernünftigem Niveau zu unterhalten", berichtet Sebb. Die Mitglieder würfen sich gleichsam ständig "gedankliche" Bälle zu. "Man geht so auf in dem Spiel, das ist faszinierend." Wenn jemand etwas ausspreche, was dem anderen nicht gefalle, könne es zum Duell kommen. Dann werfe der Herausforderer dem anderen einen Fehdehandschuh zu. Die Kontrahenten verständigten sich dann auf ein Thema, über das sie sprechen. Anschließend werde entschieden, wer gewonnen habe.

Einem "Reych" einfach beitreten kann allerdings niemand. In der Regel nimmt eines der Mitglieder einen Aspiranten zu einem Treffen als "Pilger" mit. Stimme das Verhältnis, werde der Kandidat aufgenommen. Aus einem Pilger wird ein Knappe, dann ein Junker, der nach einigen Sitzungen zum Ritter geschlagen werden kann, wenn er die Sprache und das Regelwerk beherrscht. Bis heute können nur Männer Mitglied werden, Frauen sind zweimal im Jahr zu Sippungen zugelassen. Und warum solle es so nicht bleiben, sagt Sebb.

© SZ vom 18.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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