Syszkas Klassiker:Barockmusik über Körperteile

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Buxtehudes Kantatenzyklus "Membra Jesu Nostri" in Bad Tölz

Von Reinhard Szyszka

Ein wenig fremd ist sie uns ja schon, die mittelalterliche Passionsmystik. Aber gerade darin liegt das Faszinosum dieser Gedankenwelt, die nicht nur Barockkomponisten wie Dietrich Buxtehude zu Vertonungen angeregt hat, sondern auch uns Heutige zu fesseln vermag. Buxtehude hat einen Zyklus von sieben Passionskantaten unter dem Titel "Membra Jesu Nostri", zu Deutsch "Die Glieder unseres Jesus", geschrieben und dabei auf Texte des 1250 verstorbenen Zisterziensermönchs Arnulf von Löwen zurückgegriffen. Am Palmsonntag um 17 Uhr gibt es dieses Werk in der Tölzer Stadtpfarrkirche zu hören.

Arnulf von Löwen hat sich in die Betrachtung des gekreuzigten Jesus versenkt und ist dabei auf den Gedanken gekommen, über die einzelnen Körperteile zu meditieren, von unten nach oben. Mit den Füßen geht es los; dann folgen die Knie, die Hände, die Seite, die Brust, das Herz und zuletzt das Gesicht. Man mag dies abstrus, ja geschmacklos finden, doch so dachten die mittelalterlichen Mystiker: größtmögliche Identifikation mit dem Gekreuzigten war das Ziel, denn das garantierte nach dem Tod auch die Identifikation in der Auferstehung. Und einer der bekanntesten Passionschoräle, "O Haupt voll Blut und Wunden", geht auf die Betrachtung des Arnulf von Löwen über Jesu Gesicht zurück; Paul Gerhard hat hier Arnulfs Worte auf Deutsch nachgedichtet.

Zu jedem Körperteil hat Arnulf einen - mehr oder minder - passenden Bibelvers gefunden und im Anschluss drei lateinische Fünfzeiler dazu gedichtet. Und so sind auch die Kantaten von Buxtehude aufgebaut. Am Anfang steht immer eine instrumentale Einleitung, dann singt der Chor den Bibelvers, die Fünfzeiler sind den Vokalsolisten anvertraut, und zuletzt wird der Bibelvers wiederholt. Gelegentlich weicht der Komponist von diesem Schema auch ab, um keine Langeweile aufkommen zu lassen.

Um wirklich zu jedem Körperteil eine geeignete Bibelstelle zu finden, musste Arnulf einige Fantasie aufwenden, und manchmal ist der Bezug recht lose. Besonders schwer tat er sich bei der Brust. Schließlich fand er den Text "Seid begierig nach der vernünftigen, lauteren Milch wie die neugeborenen Kindlein." Von der vernünftigen, lauteren Milch zur Brust des Mannes Jesus - auf diese Verbindung muss man erst einmal kommen.

Der Däne Dietrich Buxtehude hat in Lübeck gewirkt und war einer der größten Musiker aus der Generation vor Bach. Es ist bekannt, dass der junge Bach mehr als 400 Kilometer von Thüringen bis Lübeck zu Fuß gewandert ist, um Buxtehude zu hören und bei ihm zu studieren. Wer einen Bach zu einer solchen Unternehmung anregt, kann ja wohl kein ganz schlechter Komponist sein.

Dietrich Buxtehude: Membra Jesu Nostri, Palmsonntag, 20. März, 17 Uhr, Stadtpfarrkirche Bad Tölz. Junger Kammerchor Bad Tölz, Solisten und ein Barockensemble. Eintritt frei; um Spenden wird gebeten.

© SZ vom 16.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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