In der frisch freigebaggerten Grube war die Ecke einer Tür zu erkennen. Der Baggerfahrer rannte zu seinem Chef und rief ihm zu: "Chef, das musst du dir ansehen!" Ein paar Bauarbeiter blickten auf und folgten dem Chef und dem Baggerfahrer zur Baugrube. Erstaunt schauten alle die Türe an, die man im Erdreich gerade so erkennen konnte. Vorsichtig wagten sich zwei Bauarbeiter in die Grube hinunter und begannen, die Türe mit Schaufeln und ihren Händen weiter freizulegen.
Nach einer halben Stunde war die Tür komplett freigelegt. Es war eine massive Holztür mit einem sehr eigenartigen Türknauf: Er sah aus wie ein Buch! Die Bauarbeiter versuchten, die Tür mit dem Buchknauf zu öffnen. Erstaunlicherweise musste man den Türknauf hineindrücken, um die Tür zu öffnen. Mit einem lauten Knarzen schwang die Tür nach innen auf. Dreck rieselte von oben auf die Arbeiter herunter, als sie vorsichtig in die dunkle Öffnung hinter der Türe hineingingen.
"Bringt uns Taschenlampen!", riefen die Männer den am Grubenrand wartenden Kollegen zu. Nachdem die Männer die Taschenlampen erhalten hatten, betraten sie vorsichtig den dunklen Gang. Nach ein paar Metern weitete sich der Gang zu einem großen Raum. Vor Staunen blieben die Männer ganz starr stehen und betrachteten das bunte Treiben vor sich in dem großen Raum. Sie sahen etwas Unglaubliches: Hunderte von Büchern flogen durch das Gewölbe! Die Luft war erfüllt von leisem Rascheln der Blätter - und von leisem Kichern. Einer der Männer schnappte sich eines der fliegenden Bücher und öffnet es. Er begann zu lesen. Es war "Winnetou - Der Schatz im Silbersee". Das Geräusch von wiehernden Pferden erfüllte plötzlich den Raum. Der lesende Mann wurde immer durchsichtiger, bis er plötzlich komplett verschwand. Er war von dem Buch aufgesogen worden!
Der zweite Bauarbeiter nahm das auf den Boden gefallene Buch wieder hoch und klappte es wieder auf. Auf einer der Zeichnungen in dem Buch erkannte er seinen Kollegen, der mitten in einem Indianerlager stand und winkte. Kurz darauf kam ein leiser Windstoß aus dem geöffneten Buch und der verschwundene Bauarbeiter stand wieder neben seinem Kollegen im Gewölbe mit den fliegenden Büchern. "Ich war in dem Buch drinnen!", rief er völlig begeistert. "Es war unglaublich! Man kann anscheinend in die Geschichten in diesen fliegenden Büchern hineintauchen!" Beide Männer gingen nun aus dem Gewölbe durch die Tür wieder ans Tageslicht und starrten in das grelle Licht der Sonne. Sie kletterten aus der Baugrube wieder nach oben, wo sie von einer Menschenmenge erwartet wurden. Sie erzählten begeistert und aufgeregt von dem ungewöhnlichen Raum. Als sie fertig erzählt hatten, starrten die Leute sie ungläubig an.
Einer der Zuschauer rief laut: "Das stimmt doch alles gar nicht! Das habt Ihr euch nur ausgedacht!" Die beiden Bauarbeiter, die unten im Gewölbe gewesen waren, schrien ihn an: "Dann komm doch selber mit hinunter, wenn Du es nicht glauben kannst!"
Nachdem einige Zuschauer mit in das Gewölbe gekommen waren und mit eigenen Augen die fliegenden Bücher gesehen hatten, glaubten sie den beiden Bauarbeitern. Voller Aufregung rannten die Menschen in die nahegelegene Buchhandlung, um von dem sensationellen Fund zu berichten. Die Sensation machte schnell die Runde. Es wurde ein Baustopp verhängt, und die Einwohner Geretsrieds baten den Bürgermeister bei einem Tässchen Tee um die Erlaubnis, statt einem Gebäude eine besondere Bibliothek für alle Buchbegeisterten zu schaffen.
Man konnte nun in der Buchhandlung normale Bücher kaufen oder aber an einer Führung zu den fliegenden Büchern teilnehmen. Wer ganz mutig war, durfte in sein Lieblingsbuch eintauchen und wurde nach einer Stunde wieder aus dem Buch herausgeholt.
Diese magische Buchhandlung wurde bald im ganzen Land bekannt und sehr berühmt.