Schlehdorf:Eine alternative Mission

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Aus einem Kloster wird eine öko-soziale Genossenschaft. Aufsichtsrat Rolf Merten sagt, die Erprobung ungewöhnlicher Lebensformen in Schlehdorf brauche langfristige Unterstützung

Von Ingrid Hügenell, Schlehdorf

Die Gemeinde Schlehdorf am Kochelsee hat gerade einmal 1250 Einwohner. Und ein großes Kloster, das auf eine über 1200-jährige Geschichte zurückblicken kann. Dort entsteht ein öko-soziales Projekt mit Landwirtschaft und alternativen Lebensformen. Getragen wird es von der Genossenschaft Klostergut, die etwa 70 Mitglieder hat. Die hat die Flächen und Gebäude von den Missionsdominikanerinnen gepachtet. Die Schwestern werden weniger und älter, sie sind selbst nicht mehr in der Lage, die Landwirtschaft weiterzuführen. Seit 2012 gibt es das Projekt, das seither gewachsen ist und einiges erreicht hat, auch wenn es sich noch nicht wirtschaftlich trägt. "Ein solches Projekt, das alternative Lebensformen probiert, braucht langfristige Unterstützung", sagt Rolf Merten, Aufsichtsrat der Genossenschaft. Im Landkreis ist er bekannt als Geschäftsführer der Jugendhilfeeinrichtung "Inselhaus".

Die Menschen

Gegründet haben die Genossenschaft ein paar Idealisten um Merten und die jetzigen Vorstände. Zuerst hieß sie Rewig - Regionale Wirtschaftsgemeinschaft, seit 2015 Klostergut Schlehdorf eG. Die Vorstände der Genossenschaft sind Saro Ratter, Diplom- Agraringenieur, der für die Landwirtschaft zuständig ist, und Bernhard Jocher, Bankfachwirt, für Finanzen und Verwaltung. Zum Vorstand der Genossenschaft gehören auch die Psychologin Claudia Maria Werner und Kommunikations-Berater Rainer Kitza. Renée Schulz und Adelheid Tlach-Eickhoff sind wie Merten Aufsichtsräte der Genossenschaft, Schulz gehört auch dem Vorstand des Fördervereins an, dessen Vorsitzende Britta-Marei Lanzenberger ist. Zum Team gehören unter anderem auch Alma Drumbl, Pädagogin und Reitpädagogin, Gärtnermeister Nikolai Firl, Kräuterpädagogin Birgit Jocher und Almut Kreuz, gute Seele des Ortes. Zu Gast sind auf dem Hof im Rahmen des "Erdkinder-Plans" regelmäßig Schüler der Montessori-Schule in der Münchner Balanstraße mit ihren Lehrern und Betreuern. Sie richten derzeit unter anderem eine Schreinerwerkstatt her und arbeiten auf dem Hof bei den Tieren mit.

Die Entwicklung des Klosterguts Schlehdorf geht mit großen Schritten voran. Hier ist Praktikantin Nora Franz mit den Schafen unterwegs. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Landwirtschaft

Das Klostergut wirtschaftet nach eigenen Angaben sozial-ökologisch und strebt danach, "die Anforderungen einer biologischen Landwirtschaft, den Naturschutz und die sinnvolle Einbindung von Menschen jeden Alters in Einklang zu bringen". Die Gäste, die auf den Hof kommen, vor allem Kinder und Jugendliche, künftig auch Behinderte, dürfen und sollen bei der Bewirtschaftung mithelfen. Neben der Tierhaltung ist der Gemüsebau ein wichtiges Standbein. Recht neu ist das Projekt "Solidarische Landwirtschaft", an dem sich 15 Kunden aus der Umgebung beteiligen. Sie bezahlen dem Gemüsebauern zu Beginn des Jahres 120 Euro für Aussaat und Pflanzung und erhalten dafür wöchentlich eine Kiste mit den Produkten wie Salat, Zucchini, Rote Rüben und Kraut. Wer mag, darf auf den Feldern mithelfen. Das Klostergut ist auch zertifiziert als Erlebnisbauernhof, regelmäßig kommen Schulklassen für einen Vormittag auf den Hof. Teilweise wird nach den Regeln der Permakultur gewirtschaftet, eine natürliche Form der Landwirtschaft, die im Einklang mit den Kreisläufen und Wechselwirkungen in der Natur arbeitet.

Die Tiere

Im Klostergut leben rund 220 Legehennen in einem Hühnermobil. Das ist ein transportabler Stall mit einem großen Auslauf, der jede Woche umgesetzt wird, so dass die Bio-Hühner immer frisches Grünfutter und Platz zum Scharren, Picken und Herumlaufen haben. Auch die Brüder der Hennen werden von dem Hühnerzüchter in Mittelfranken aufgezogen. Das und die biologische Freilauf-Haltung macht die Eier etwas teurer: Der Preis liegt bei 40 Cent pro Stück, man kann sie auf dem Gut kaufen oder ein Eier-Abo abschließen. Die älteren Legehennen werden geschlachtet und als Suppenhühner im Hofladen verkauft, ebenso wie Gockel-Produkte, beispielsweise Frikassee und Suppe. Es gibt eine kleine Herde von Steinschafen, deren Wolle verwertet wird, und Bienen, die einem Schlehdorfer Imker gehören. Im alten Sommerstall am Karpfsee zwischen Schlehdorf und Großweil ist der Islandpferdehof beheimatet, mit 17 Pferden und einem Esel. Dort leben derzeit neun Murnau-Werdenfelder Rinder, fünf Mutterkühe und vier Jungtiere. Auf dem Hof laufen zudem Katzen, Gänse und mehrere Hühner herum, die dem Schlachter entwischt sind und jetzt in Ruhe alt werden dürfen.

Auf dem Hof laufen Gänse und Hühner herum. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Gebäude

Das Klostergut verfügt nicht nur über Anbauflächen und Wald, sondern auch über Gebäude, zumeist alte Stallungen, aber auch das ehemalige Schwesternwohnheim. Tlach-Eickhoff, Kitza, Werner und Saro Ratter mit seiner Frau leben schon dauerhaft auf dem Hof, Lanzenberger zeitweise. Das Schwesternwohnheim ist zur Herberge geworden, unter anderem für die Montessori-Schüler und ihre Lehrer, aber auch Praktikanten und Gasthelfer. Eine Kreativwerkstatt ist im Keller im Aufbau. Im früheren Hühnerstall ist das Hofcafé eingerichtet und vorübergehend auch der Hofladen, in dem Obst und Gemüse verkauft werden, Honig, Sirup und Likör, Tee, Kaffee von der Murnauer Kaffeerösterei, Kräutersalz und Ähnliches aus der Region. Und auch Eiernudeln bekommt man dort, die aus Eiern der Hofhühner hergestellt werden. Der Laden soll umziehen in einen Teil des riesigen alten Kuhstalls, in dem schon Werkstätten, das Büro und einige Wohnräume Platz gefunden haben.

Project Peace

Bei diesem Projekt können junge Leute zwischen 18 und 25 Jahren ein Bildungs- und Entwicklungsjahr für Frieden, Ökologie und Kulturwandel absolvieren. Ein halbes Jahr davon werden sie im Ausland oder in Deutschland bei einem innovativen Projekt eingesetzt. Zuvor werden sie drei Monate lang intensiv im Klostergut vorbereitet, und nach ihrer "Unterwegs-Zeit" kommen sie für einige Wochen dorthin zurück. In der Vorbereitung übt sich die Gruppe, die jeweils aus etwa einem Dutzend jungen Leuten besteht, beispielsweise in gewaltfreier Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg, nimmt aber auch am Hofleben teil und hilft beispielsweise auf den Gemüseäckern. Pia Goldbecker aus Nordrhein-Westfalen gehört zum diesjährigen Project Peace, das im August begonnen hat. Die 19-Jährige geht nach ihrer Zeit in Schlehdorf zunächst nach Griechenland, um dort Flüchtlingen zu helfen, und dann nach Palästina.

Britta-Marei Lanzenberger (l.) und Birgit Jocher präsentieren Regionalprodukte. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Zukunftspläne

Für das Klostergut wird derzeit ein Masterplan erstellt, Bernhard Jocher rechnet damit, dass er im November fertig wird. "Das macht richtig Spaß", sagt er, als er durch das erste Probeexemplar blättert. Vor allem möchte die Genossenschaft die Gebäude besser nutzen, zum Teil auch umbauen. So soll eine inklusive Wohngemeinschaft entstehen und ein Mehrgenerationen-Wohn-Projekt. Dieses ist erst in der Planung, aber die Nachfrage schon groß: Etwa einmal pro Woche frage jemand an, ob er dort einziehen könne, sagt Lanzenberger, die für Marketing und Pressearbeit zuständig ist. Maximal 50 Menschen verschiedenen Alters könnten, organisiert in einer eigenen Genossenschaft, dort einmal einziehen. Am Karpfsee möchte Ratter gerne einen Stall für etwa 35 Kühe errichten, die statt Silage nur Heu erhalten sollen und entsprechend dann besonders wertvolle Heumilch geben. Aus der Heumilch sollen unter anderm Joghurt und Käse hergestellt werden.

Die Schwierigkeiten

Persönlich und menschlich fänden viele Mitarbeiter der zuständigen Behörden die Ideen gut, die auf dem Klostergut verwirklicht werden sollen, sagt Lanzenberger, "aber rechtlich gibt's Probleme". Rolf Merten spricht von "langsam mahlenden Mühlen" der Bürokratie. Wie der für die Landwirtschaft verantwortliche Ratter erklärt, dürfe das Landwirtschaftsamt im Außenbereich kein Bauvorhaben genehmigen, das nicht wirtschaftlich sei. Eine Milchviehhaltung mit nur 35 Tieren wäre das aber nicht. Für einen größeren Stall würde man leichter eine Genehmigung erhalten. "Paradox", sagt Ratter. Dass auch ein Lernbauernhof mit einer Käserei eingerichtet werden soll, der die Wirtschaftlichkeit verbessern würde, zähle für das Landwirtschaftsamt nicht, sagt Ratter. Auch der Naturschutz muss am Karpfsee berücksichtigt, Abstandsflächen zu wertvollen Biotopen müssen eingehalten werden. Nun hat Landrat Josef Niedermaier seine Unterstützung zugesagt, es soll ein Konzept entwickelt werden, das realisierbar ist. Bernhard Jocher hofft, dass der Schlehdorfer Gemeinderat einen Bebauungsplan aufstellt für den Umbau der Gebäude. Dass Bernhards Bruder Stefan Jocher Schlehdorfer Bürgermeister ist, hält Lanzenberger dabei für eher hinderlich. Denn der werde genau darauf achten, dass es nicht so aussehe, als bevorzuge er seinen Bruder.

© SZ vom 02.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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