Prozessbericht:Stimmen im Kopf

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Weil die Schizophrenie eines jungen Syrers in der Heimat nicht behandelt werden kann, kommt er nach Deutschland - und rastet aus

Von Barbara Briessmann, Bad Tölz/München

Warum der ruhig wirkende Beschuldigte immer wieder auf andere Mitbewohner losging, kann er nicht erklären. Erinnern kann er sich schon daran. Wegen Körperverletzung in mehreren Fällen, Bedrohung und dem Besitz von einem Gramm Marihuana sitzt der 22-Jährige am Freitag im Gerichtssaal B 264 im Münchner Justizzentrum. Seine Taten hatte der Syrer in der Asylbewerberunterkunft in Bad Tölz begangen. Allerdings attestiert ihm die Staatsanwältin "Schuldunfähigkeit". Der junge Mann leidet nämlich unter paranoider Schizophrenie. Wenn er seine Medikamente nicht nimmt, spielt sein Kopf verrückt.

Mit einer Handfessel wird der Gelegenheitsarbeiter in den Sitzungssaal gebracht. Zwei Justizbeamte bleiben in der Verhandlung. Dabei wirkt er ruhig, friedlich und freundlich. Das war er bei seiner Unterbringung im Jodquellenhof in Bad Tölz teilweise ganz und gar nicht.

Einem Flüchtling aus Eritrea schlug er von hinten ins Gesicht, wie er vor Gericht zugibt. Auch gesteht er, dass er zwei Security-Mitarbeiterinnen geschubst hat, einen Sicherheitsmann mit dem Satz "I kill you all" bedroht hat, um diesem Angst einzujagen. Zwei syrische Brüder hat er nach eigener Aussage geschlagen, weil er dachte, "sie spielen ein Spiel mit mir".

Bei einem Klinikaufenthalt in Agatharied soll er zudem handgreiflich gegenüber einem anderen Patienten geworden sein. "Ich habe im Raucherzimmer gesungen, das hat den anderen gestört", lässt er den Dolmetscher übersetzen. Er habe diesen dann aber nur geschubst, könne sich nicht mehr genau erinnern. Nur dass er etwas mit dem Marihuana zu tun haben soll, das unter seinem Kopfkissen gefunden wurde, streitet der 22-Jährige vehement ab.

Alle Vorfälle spielten sich im März und April vergangenen Jahres ab. Dass er seelische Probleme hat, war auffallend. Er hörte Stimmen, führte Gespräche mit Allah, obwohl "ich gar kein Moslem bin". Außerdem konnte er sich keinen Film anschauen, ohne sich als Teil der Handlung zu fühlen. "Blutsauger, Zombies und solche Sachen" hätten ihn angezogen. Dass sein Sohn dringend behandelt werden muss, hatte sein Vater schon bald gemerkt. Da die entsprechenden Medikamente in Syrien, wo seine Mutter mit den vier Geschwistern lebt, und in Jordanien, wo der Vater wohnt, sehr teuer seien, habe dieser ihn nach Deutschland geschickt, damit er hier behandelt wird. Der 22-Jährige stellte einen Asylantrag. Womit er diesen begründet habe, wisse er nicht mehr.

Behandelt wird er jetzt. Seit 27. April 2016 befindet er sich in der geschlossenen Psychiatrie in Haar. Dort bekomme er vier Tabletten am Tag und seit März monatlich eine Spritze. Seitdem seien die Stimmen aus seinem Kopf verschwunden, er könne wieder schlafen und auch Filme ansehen, ohne sich selbst in einer Rolle zu fühlen. Was das Gericht klären muss, ist die zukünftige Unterbringung des Syrers. Sein Rechtsanwalt sucht nach einer Unterkunft in der Nähe des Krankenhauses, weil befürchtet wird, dass von dem geistig kranken Mannes eine Gefahr ausgeht, sollte er die Medikamente wieder absetzen.

Vielleicht muss er aber auch in der geschlossenen Abteilung bleiben. Darüber soll das Gutachten eines Psychologen aus Haar Aufschluss geben, der am nächsten Verhandlungstag, dem 9. Juni, vom Gericht gehört wird. Der 22-Jährige selbst wünscht sich für seine Zukunft, die deutsche Sprache fließend zu können, eine Wohnung und Freunde. "Ich will nicht zurück nach Syrien oder Jordanien."

© SZ vom 27.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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