Pelzig in Geretsried:Rösler per Los abgelöst

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Erwin Pelzig schwingt im Festival-Zelt des "Kulturherbsts" das Herrenhandtäschchen und vergibt das Amt des Bundeswirtschaftsministers neu - an eine Geretsriederin.

Barbara Szymanski

Er redet zwar fränkisch weich, kann aber knallhart sein: Frank-Markus Barwasser alias Erwin Pelzig (sprich: Belzich). (Foto: Hartmut Pöstges)

Wer Erwin Pelzig nicht kennt, der denkt: Oje, jetzt wird's hemdsärmlig. Dieses verwaschen-beigefarbene Cord-Hütchen, das karierte Hemd und eine Art Trachtenanzug aus der Kleiderkammer. Und das Herrenhandtäschchen, das auch im seit Wochen ausverkauften Festival-Zelt des Geretsrieder "Kulturherbsts" stets an seinem Arm baumelt. Doch es ist unwahrscheinlich, dass man den Kabarettisten Frank-Markus Barwasser noch nie gesehen oder gehört hat. Oft ist er im Fernsehen zu sehen, mit prominenten Gästen oder beim Quotenhit "Neues aus der Anstalt" an der Seite von Urban Priol. Nun aber live.

Drei Stunden lang Hemdsärmeligkeit, fränkisch verwaschene T- und P-Konsonanten und verschluckte Wortendungen. Da klingen "Grise" und "Bollidiger" oder "Bänger" gar nicht mehr so bedrohlich. Denn wer so weich redet, kann's knallhart servieren, klug aufdröseln, schelmenhaft verpacken, unverschämt sein. Oder er kann thematisieren, was andere lieber weglassen, zum Beispiel, dass Frauen im Beruf 20 Prozent weniger verdienen.

Spart der Pelzig, gesprochen Belzich, irgendetwas oder irgendjemanden aus? Natürlich nicht. Bei Stichworten wie Loddar Maddäus oder Friedrich Merz gibt es im Zelt ohrenbetäubendes Gelächter. Doch so einfach macht es sich der Dozent bei seinem bildhaften Kompaktunterricht in Sachen Politik nun auch wieder nicht. Ein bisschen Nachdenken zwischen den groben Späßen muss schon sein. Er behandelt Störgefühle, also kognitive Dissonanz.

Und Pelzig findet, dass viele unserer Minister die falsche Vorbildung haben. Warum also nicht gleich die Posten verlosen. Er langt in eine Plexiglastrommel und zieht ein Los. Die Nummer 176 soll Philipp Rösler als Wirtschaftsminister ersetzen. Es ist eine Frau aus Geretsried, und sie wird doppelt belohnt. Denn sie bekommt neben der Ernennung einen Umschlag mit ihrem Eintrittsgeld. Die Botschaft dieser Szene wird bald klar. Denn bei der nächsten Auslosung geht der neue Bundespräsident leer aus. "Geht nach Wulff nicht mehr", sagt Pelzig so nebenbei, und wird fortan trotz Bettelns niemanden mehr finden, der sein Los zückt.

Der Kabarettist hat zwei Ebenen, auf denen er dem Publikum die politische Welt, das unübersichtliche Universum der Bankenverflechtungen, die Ungerechtigkeit der Welt oder den Islam erklärt. Doch bei diesem Thema ist er vorsichtig. Unser Gott habe überall auf der Welt Erdöl versteckt. Aber Allah habe die Araber draufgesetzt. Wieder so eine Ungerechtigkeit, die Zwietracht unter den Menschen säte.

Das und mehr erzählt uns Pelzig schreitend über die Bühne oder fläzend auf einem Stuhl. Andere Themen lässt er von einem Stammtisch - der zweiten Spielebene - beleuchten mit dem derben Hartmut aus der Vorstadt, dem moralisierenden Doktor Göbel und ihm selbst als Fragesteller und Regulativ. Diese Szenen kommen gut an, weil Pelzig nun ins Comedy-Fach wechselt und mit der Figur Göbel sein vorzügliches Hochdeutsch anbringen kann. Am Stammtisch kann er gallig sein, hinterhältig, böse.

Das Publikum im Zirkuszelt amüsiert sich köstlich, auch wenn das gellende Lachen im zweiten Set auf die normale Heiterkeitsstufe heruntergebeamt scheint. Denn der Kabarettist, der so unterhaltsam, komisch und temporeich politisiert, hält die Zuhörer über drei Stunden lang in Bann.

© SZ vom 13.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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