Nachruf auf Sophia Hößle:Mit der Kraft des Löwenzahns

Übersehenes sichtbar machen: Sophia Hößle in ihrem Atelier in Irschenhausen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Von Stephanie Schwaderer

Wir sind umgeben von Wundern, aber gehen blind durchs Leben. Das ist eine Erkenntnis, die aus Sophia Hößles Kunst spricht. Aus den Bienen, die sie fein und filigran in Silbermedaillons gearbeitet hat, oder den Löwenzahnsamen, die an hauchzarten Fallschirmen hinaus in die Welt fliegen - womöglich, um andernorts Beton zum Bersten zu bringen. Aufsehenerregend im Wortsinn waren und sind ihre monumentalen Vergrößerungen: das mannshohe Blütenblatt eines Gänseblümchens etwa, das die Holzbildhauerin mit Motorsäge und Stemmeisen aus einem Baumstamm gearbeitet hat, oder die riesige, mit Stacheln bewehrte Schale einer aufgeplatzten Kastanie. Werke, die einen spontan zum Staunen bringen und tief im Inneren glücklich machen.

Seit 2008 öffnete Sophia Hößle zusammen mit ihrem Mann Gabriel Baumüller regelmäßig ihre Tür bei den Ickinger Ateliertagen. Jeder Besuch in ihrem lichtdurchfluteten Schaffensraum in Irschenhausen lohnte sich, war ein Geschenk. Für die Gemeinde Icking entwarf Hößle den Rathaus-Brunnen. Die letzte Arbeit, die sie im November 2018 beim Berger Kulturverein ausstellte, trug den Namen "Übersehenes". 49 Käfer, Fliegen, Motten und Grashüpfer hat sie dafür naturgetreu gezeichnet und die winzigen Porträts wie Schmetterlinge mit Stecknadeln aufgespießt. Einer Notiz war zu entnehmen, dass sie all diese Insekten "im Umkreis von 40 Metern gefunden" hatte. Eine stille, liebevolle Arbeit - mit der Kraft des Löwenzahns. Am 23. Juni ist Sophia Hößle im Alter von 59 Jahren gestorben.

© SZ vom 13.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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