Nach Unions-Kompromiss:Wütend und frustriert

Lesezeit: 4 min

Die Flüchtlingshelfer im Landkreis reagieren mit Unverständnis auf den Asylstreit zwischen CDU und CSU und den Kompromiss von Montag. Sie wünschen sich stattdessen mehr Unterstützung für die hier lebenden Schutzsuchenden

Von Katharina Schmid, Bad Tölz-Wolfratshausen

Ein junger Mann aus Afghanistan, 21, gutes Deutsch, am Dienstagmorgen abgeholt in Wolfratshausen, abgeschoben nach Kabul: Wieder so ein Fall, der "Trauer und Frustration" bei den ehrenamtlichen Asylhelfern auslöst, wie Ines Lobenstein vom Helferkreis sagt. Der junge Afghane sei sehr gut integriert gewesen, habe regelmäßig in der Radlwerkstatt ausgeholfen, eine Ausbildung zum Altenpfleger machen wollen, und dann die Abschiebung. "Manchmal ist unsere Arbeit sehr schwer zu ertragen", schreibt Lobenstein in einer Rundmail an die etwa 120 ehrenamtlichen Helfer in Wolfratshausen.

Vor Ort bewegen Ereignisse wie diese die Flüchtlingshelfer. Auf den sogenannten Asylstreit zwischen CDU und CSU reagiert Lobenstein deshalb verärgert. Sie verstehe den "Hype", der aktuell um die Flüchtlingsfrage gemacht werde, überhaupt nicht. "2015 hatten wir wirklich ein Problem", sagt sie, "wir wussten nicht, wo wir anfangen sollten, und trotzdem ist es aus meiner Sicht gut ausgegangen." Viele Menschen, die damals nach Deutschland gekommenen sind, seien mittlerweile "sehr gut" integriert, hätten Wohnung und Arbeit. Zwar gebe es immer Ausnahmen, räumt Lobenstein ein, aber die finde man in allen gesellschaftlichen Gruppen. Die aktuelle Debatte nennt sie deshalb "unverschämt und ignorant". "Ich weiß wirklich nicht, was in den Köpfen dieser Politiker vorgeht. Ist das die Angst vor dem rechten Rand?" Heute, da nur wenige Flüchtlinge nach Deutschland kommen, sei der Streit ein "gemachtes Thema".

Dorothee von Heydebrand aus Geretsried beschreibt die Stimmung im Helferkreis ob des aktuellen Asylstreits so: "Wir sind alle nur erschüttert." Sie finde es "ungeheuerlich, wie das Thema aufgebauscht wird, um von der AfD Stimmen zu gewinnen". (Foto: Manfred Neubauer)

Aktuelle Zahlen aus dem Landratsamt bestätigen, was Lobenstein anspricht. 169 Asylbewerber kamen demnach von Januar bis jetzt in den Landkreis. Ein Bruchteil der Zahlen von 2015, als 1 657 Asylsuchende im Landkreis ankamen. 2016 waren es 926, im vergangenen Jahr 425. Ein deutlicher Trend nach unten. 640 anerkannte Flüchtlinge und 950 Asylbewerber leben aktuell in 112 dezentralen Unterkünften und in den fünf Regierungsunterkünften. Etwa 52 davon sind "ausreisepflichtig".

Weil auch sie diese Entwicklung beobachtet, ist Tanja Schmidhofer vom Asylhelferkreis in Benediktbeuern wütend: "Was die CSU in Bayern da im Moment macht, das ist wirklich katastrophal." Ohne Grund und Not werde Stimmung gegen eine der "allerschwächsten" Bevölkerungsgruppen gemacht. Das Flüchtlingsproblem "als Hauptproblem darzustellen, das wir haben, das hat nichts mit der Realität zu tun", sagt Schmidhofer. "Ich finde das unsäglich."

Schmidhofer engagiert sich seit 2015 für geflüchtete Menschen, die in Benediktbeuern und Bichl Zuflucht gefunden haben. Von den anfangs etwa 40 Ehrenamtlichen sind 25 Helfer geblieben, welche knapp 50 Flüchtlinge unterstützen. Die meisten von ihnen seien inzwischen anerkannt, viele hätten eine Wohnung, arbeiteten und fassten langsam Fuß. "Sie kommen aber deshalb noch lange nicht alleine klar", sagt Schmidhofer. Besonders bei Behördengängen, bei Arztbesuchen, bei der Wohnungs- und Jobsuche sei die Hilfe der Ehrenamtlichen noch immer gefragt.

Denkt Ingrid Rühmer vom Helferkreis in Schäftlarn an den Asylstreit, kochen die Gefühle hoch: "Ich kann es nicht mehr hören", sagt sie. "Das ist ein Nebenkriegsschauplatz und ein Ablenken von allen anderen Problemen." (Foto: Manfred Neubauer)

Auch Ingrid Spindler, die sich in Bad Heilbrunn für Flüchtlinge engagiert, ist seit Sommer 2015 aktiv. Anfangs unterstützt von 20 Ehrenamtlichen, mittlerweile noch mit einem "harten Kern von zehn Helfern". Spindler beklagt vor allem die infrastrukturellen Nachteile von Orten wie Bad Heilbrunn. So habe ein anerkannter Flüchtling, der bei einem Bäcker in Bad Tölz eine Lehre antreten könnte, keine Möglichkeit, "mit öffentlichen Verkehrsmitteln um halb vier Uhr früh in Tölz zu sein". Familien stünden vor dem Problem, dass der nächste Supermarkt erst in der zehn Kilometer entfernten Stadt zu finden sei. Alles Probleme, welche die Helfer vor Ort zu lösen versuchen. Zur politischen Dauerdiskussion zum Thema Asyl sagt Spindler deshalb nur: "Ich hör' oft gar nimmer hin, das ist so ein Hin und Her, da weiß man nie, woran man ist." Auch im Helferkreis werde wenig über Politik gesprochen: "Uns geht's um die Leute, die hier sind, und dass wir uns um die kümmern."

Dorothee von Heydebrand aus Geretsried beschreibt die Stimmung im Helferkreis ob des aktuellen Asylstreits so: "Wir sind alle nur erschüttert." Sie finde es "ungeheuerlich, wie das Thema aufgebauscht wird, um von der AfD Stimmen zu gewinnen". Dabei gelte es, ganz andere Probleme zu lösen als die aktuell in der Bundes- und Landespolitik diskutierten. Von Heydebrand fordert klare Regeln für die Menschen, die bereits in Deutschland sind, und dass bestehende Regeln konsequent umgesetzt werden. Zudem vermisse sie eine finanzielle Förderung Asylberechtigter sowie einen individuellen Umgang mit den Geflüchteten. "Die Pauschalbehandlung ist das Schreckliche, weil die Leute so wahnsinnig unterschiedlich sind", sagt sie. Da gebe es die Strebsamen genauso wie solche, die das System ausnutzten. "Dass die alle gleich behandelt werden, das sorgt für Unmut unter den Asylbewerbern und auch unter den Helfern."

Denkt Ingrid Rühmer vom Helferkreis in Schäftlarn an den Asylstreit, kochen die Gefühle hoch: "Ich kann es nicht mehr hören", sagt sie. "Das ist ein Nebenkriegsschauplatz und ein Ablenken von allen anderen Problemen." In Söders und Seehofers Agieren sieht sie "Machtspiele" und "testosterongesteuerte Hahnenkämpfe". Sie ärgere sich "wahnsinnig", weil mit der Angst der Leute gespielt werde. "Für mich ist die CSU gestorben", sagt Rühmer, die in Schäftlarn mehr Helfer brauchen könnte. Vor allem nach Familienpaten sucht sie, aber: "Ich kriege keine mehr, das ist vorbei." Die Euphorie, mit der sich viele Menschen zu Beginn der Flüchtlingskrise 2015 für Asylsuchende engagiert hätten, sei abgeebbt. Zehn von anfangs 16 Ehrenamtlichen im Helferkreis von Schäftlarn engagieren sich heute noch vor allem in der Hausaufgabenhilfe für Kinder.

Barbara Stosiek-Glaw aus Eurasburg "schwillt der Kamm", wenn sie den Asylstreit der Regierung beobachtet. "Und das geht uns aus dem Helferkreis fast allen so", sagt sie. Dabei repräsentierten die Ehrenamtlichen keine "typischen Grünen", sondern einen Querschnitt der Gesellschaft. Stosiek-Glaw glaubt deshalb, dass die CSU einige Stimmen verloren habe. Und sie fürchtet, dass sich durch die Unterbringung der Asylbewerber in Sammelunterkünften die Situation "schlagartig" ändern werde, zum Schlechteren.

© SZ vom 05.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: