Münsing:Der Filmemacher als Belletrist

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Bernhard Sinkel liest im "Marcipane" aus seinem Roman "Augenblick der Ewigkeit"

Felicitas Amler

Autorenlesungen sind günstige Gelegenheiten. Für den Literaten, weil er den Kreis seiner Leser erweitern kann. Fürs Publikum, weil es immer ein bisschen mehr erfährt, als wenn es allein zu Hause lesen würde. Von Bernhard Sinkel zum Beispiel wissen jene, die am Dienstag in der Münsinger Vinoteca Marcipane waren, nun auch, dass er ein veritabler Tierfreund, speziell ein Siebenschläfer-Schützer, ist. Mit launigen Plaudereien wie dieser eröffnet Marcipane-Mitbesitzer Christian Kohn die literarischen Abende in seinem Lokal oft sehr unterhaltsam. Und von Sinkel, dem preisgekrönten Autor und Regisseur großer deutscher Filme ("Lina Braake", "Deutschland im Herbst", "Väter und Söhne"), kann er Anekdotisches erzählen, weil der früher in Ambach lebte.

Mann mit Buch: Bernhard Sinkel (Foto: Manfred Neubauer) (Foto: N/A)

Thema des Abends aber war sein neues Werk, der Roman "Augenblick der Ewigkeit". Diese Geschichte einer Dirigentenkarriere in der Nazi-Zeit wird von der Kritik gern als Karajan-Schlüsselroman dargestellt. Sinkel dementiert: "Damit kein Missverständnis aufkommt: Dieses Buch ist keine Biographie über Karajan - dazu war mir der Karajan viel zu suspekt." Gleichzeitig rekurriert der Autor selbst immer wieder auf den naziverstrickten österreichischen Dirigenten-Star.

Sinkel, Jahrgang 1940, gehört zu jenen Intellektuellen, für die eine Auseinandersetzung mit dem NS-Regimes lebens- und arbeitsbestimmend ist. Zwölf Jahre, so bemerkt er in seiner Einführung zur Lesung, seien doch eine kurze Zeit, wenn man bedenke, was angerichtet worden sei und wie sehr diese "Verwüstungen" bis heute nachwirkten. Er habe sich filmisch mit Industrie und Wissenschaft unterm Hakenkreuz befasst, aber ebenso wichtig sei ihm die Frage nach Kunst und Kultur in jener Zeit. Und es interessiere ihn keineswegs vorrangig, was die Menschen während des "Dritten Reichs" taten, als vielmehr: "Wie sind sie später damit umgegangen?" Ganz wenige hätten doch Schuld bekannt und Scham geäußert. "Eines dieser typischen Beispiele war Karajan." Der habe seine Rolle als "strong Nazi" nie reflektiert.

Seit zwei Jahrzehnten beschäftigt sich Sinkel mit diesem Thema. Die "fiktive Biographie" sollte schon als Film erscheinen. Alles war fix und fertig, doch drei Wochen vor Drehbeginn wurde die Förderung zurückgezogen. Es gehört nicht viel Phantasie dazu zu erraten, was dahinter wohl stand. Karajan lebte damals noch.

Ein Debakel? Für Sinkel letztlich eine Chance. Denn da er den Stoff nun in einen literarischen Roman goss, machte er ganz neue Erfahrungen: "Ich hatte plötzlich Freiheiten, die ich beim Film nie hatte." Er war ja in allem sein eigener Herr. Konnte Schauplätze, Szenen, Personal setzen und wechseln, wie es ihm gefiel. "Dadurch hat dieses Buch mehr Welt, als wenn es ein Film geworden wäre."

Die 30 Zuhörer im Marcipane bekamen einen kleinen Einblick in diese Welt, beginnend in einer böhmischen Kindheitsidylle 1914. Das Ende der Lesung zog das Publikum spürbar in seinen Bann: Wie der junge Dirigent 1933 aalglatt und eiskalt in seine Karriere gleitet, indem er die Rolle des von pöbelnden SS- und SA-Horden aus dem Opernhaus getriebenen Generalmusikdirektors übernimmt. "Der deutsche Donner hat sein Ziel erreicht." Nachdenklich stimmendes Ende eines eindrucksvollen Erzähl- und Leseabends.

© SZ vom 23.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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