Zeit, um glücklich zu sein

Man mag Wolfratshausen nachsagen, es sei politisch schwerfällig, nichts komme so recht vom Fleck und die Stadt habe sich den Schimpfnamen "Stillstandshausen" redlich verdient. Aber eines klappt in dieser Stadt traditionell hervorragend: die Nachbarschaftshilfe. Die "Bürger für Bürger" sind mit 1100 Mitgliedern einer der größten Vereine weit und breit. Da gibt es kaum eine Notlage, vom Baby bis zum Senior, in der die Ehrenamtlichen nicht mit Rat und Tat zur Stelle wären. Und manchmal bedarf es nicht einmal einer Vereinsmitgliedschaft. So wie neulich: Da wollte eine Autofahrerin schnell-schnell nach der Arbeit ihr Gefährt aus der Werkstatt holen. Arbeit: in der Wolfratshauser Innenstadt. Auto: an der Pfaffenrieder Straße. Kein Problem, es fährt ja ein Bus von A nach B. Doch der verkehrt nur selten, Wartezeit mehr als eine halbe Stunde - bei inzwischen strömendem Regen. Hinlaufen? Eigentlich kein Problem, etwa eine Viertelstunde Fußweg. Aber ohne Schirm? Und völlig durchnässt ankommen? Also schnell rein ins nächste Café, das "Kaffee-Ratscherl" an der Königsdorfer Straße. "Könnten Sie mir ein Taxi rufen? Ich zahle das Gespräch selbstverständlich." Die Kaffeehaus-Chefin und ihre Tochter nicken freundlich, versuchen das Fuchzgerl fürs Telefon abzuwehren, wählen den ersten Taxler an - keine Zeit, Rushhour in Wolfratshausen, total ausgebucht. Den zweiten: besetzt. Und weiter: besetzt. Die Mutter greift nach ihrer Handtasche, wirft der Tochter einen Blick zu: "Ich fahre die Dame schnell hin." Die blickt sich um - im Café herrscht ordentlich Betrieb. "Das kann ich nicht annehmen." Das sieht die Inhaberin anders: Raus in den Regen, rein ins Auto, ab zur Werkstatt. Danke! Das "Kaffee-Ratscherl" hat übrigens das Motto "Nimm dir Zeit, um glücklich zu sein". Und macht selbst andere glücklich. In Beistandshausen.