Mitten in Wolfratshausen:Sinfonie für Betonsäge

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Opernbesucher sitzen gerne auf dem Balkon. In der privaten Wohnung muss der Mieter manchmal davon flüchten - wegen dem Klang der Neuzeit

Von Wolfgang Schäl

Als Opernbesucher sitzt man ja am liebsten auf dem Balkon, um sich, hoch über den billigen Logenplätzen, den Bemühungen der Musiker hinzugeben. Moderne Stücke sind hierbei meist weniger gefragt, weil sie, wie schon Wilhelm Busch erkannt hat, mit Geräusch verbunden sind. Dabei muss man doch nur ein wenig Verständnis entwickeln für die Klangkulisse der Moderne, die zu Recht weit weniger auf die innere Erbauung abzielt als auf die plausible Vermittlung der schrillen Gegenwart, sie will uns herausrütteln aus der romantischen Verklärung der Vergangenheit und uns hineinkatapultieren in die Gefühlswelt des neuen Jahrtausends.

In diesem Sinne sind wir zum Glück längst auf dem Stand der Dinge, dank häufiger Sitzungen auf dem privaten Opernbalkon, die uns die künstlerisch hochwertige, vielfältige Kakofonie unserer Zeit vermittelt: eine Großbaustelle - drei Zweispänner und eine Reihenhauszeile am Rilke-Weg, an der seit elf Monaten gearbeitet wird, und ein zweites Großprojekt an der Beuerberger Straße, das in einer Entfernung von 300 Metern Luftlinie künstlerisch reizvolle Gegenakzente setzt. Bleiben wir am Rilke-Weg.

Wo einst der Maurer frohen Sinnes, vielleicht ein Lied pfeifend, sein Werk getan hat, werden jetzt komplett montierte Ziegelwände angeliefert, wofür man schwer atmende Vierzigtonner benötigt, die dröhnend und wild piepsend im Rückwärtsgang an die Baugrube rangieren. Dort wartet schon der virtuos gesteuerte Maschinenkran, der sich klanglich aber nicht wirklich durchsetzen kann gegen die röhrenden Betonmischer, die Trampelmaschinen und die akustisch alles verschlingenden Betonsägen, die selbst für eine moderne Sinfonie etwas zu dominant sind. Ein zart verhalten pfeifendes Maschinensäuseln tragen die Hydraulikbagger bei, sofern sie nicht mit ihren Eisenketten unterwegs sind und mit ihren Eisenschaufeln Erdkrümel vom frischen Asphalt kratzen.

Ganz anders die Beuerberger Straße, wo man mit äußerstem technischem Aufwand dem Hang ein Baugrundstück abtrotzt, was wiederum eine sehr spezielle Instrumentierung voraussetzt. Wir wollen hier nicht weiter ins Detail gehen und erwähnen nur den rhythmischen Zauber der Dampframmen, das monotone Brüllen der Bohrmaschinen und der Kompressoren, die den Presslufthämmern Kraft spenden. Den Klang der Neuzeit verfolgen wir mit bebendem Herzen, aber manchmal, da machen wir spontan die Balkontür zu und legen uns was Nervenberuhigendes auf. "Für Elise" oder Schumanns "Träumerei".

© SZ vom 12.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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