Mitten in Wolfratshausen:Seligmachender Fingerzeig

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Während man früher zur Schule ging oder radelte, gleitet man heute im Auto zur Arbeit

Von Claudia Koestler

An jene Szenen kann sich doch sicher jeder noch gut erinnern: Damals, als man fünf Tage in der Woche zur Schule gegangen oder geradelt ist. Da war es egal, ob es gerade stürmte, schneite, schüttete oder die Isarkiesel in der Hitze flimmerten. Auf dem noch ach so biegsamen Rücken lastete der Schulranzen mit dem Gewicht der ganzen Welt. Schließlich wog alleine der Weltatlas für den Erdkundeunterricht ungefähr vier Kilo. Vom Griff baumelte der Turnbeutel herab, auf dem Gepäckträger stemmte sich die Zeichenmappe gegen jedwede Aerodynamik. Man trödelte, sprintete oder fuhr gemeinsam zur Schule und wieder zurück. So entdeckte man nicht nur das Umfeld, sondern die ganze Welt, so fühlte es sich zumindest an: Man kam sich selbständig und erwachsen vor, und in den meisten Fällen wurde man es im Laufe der Jahre sogar.

Heute als Erwachsener gleitet man im Auto zur Arbeit. Die Karosseriedämmung schützt vor allen äußerlichen Einflüssen und Gefahren. Bis, ja bis man sich dem Ziel nähert: jenen Parkplätzen nahe des Arbeitsplatzes in der Innenstadt. Dort findet man sich regelmäßig auf Lückensuche wieder, mal mit zen-buddhistischer Ruhe gesegnet, mal mit Adrenalin bis unter die Haarspitzen. Bis die Adleraugen einen Mitmenschen erspähen, der sich mit gefüllten Einkaufstüten auf sein Auto zubewegt. Meistens lädt jener dann zwar seine Tüten ein, öffnet auch die Fahrertür, steigt ein, legt den Sicherheitsgurt an, doch den Motor . . . startet er nicht.

Wer deshalb einmal echten Dank spüren möchte, hat dazu in Wolfratshausens Innenstadt jede Gelegenheit: Wer antizipiert und Parkplatzsuchenden signalisiert, dass er in Bälde seinen Platz räumen wird, dem ist ein seliges, verbundenes Winken und Lächeln der Nachrücker sicher. Mit Mehrwert: Denn wer somit auch noch schneller ist als sein Nachbar, entgeht der Gefahr, dass ihm der Parknachbar beim Einsteigen auf den engen Wolfratshauser Parkplätzen Beulen in die Seitentür rammt. Hier spielen wir - in dankbarem Gegenzug - mit unserer alten Blechgurke gerne den Lückenbüßer und Puffer.

© SZ vom 04.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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