Mitten in Lenggries:Sturzflug in den Kühlergrill

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Fokussion ist schön und gut - aber nicht, wenn es dazu führt, Gefahren auszublenden...

Kolumne von Konstantin Kaip

Sich auf etwas fokussieren zu können, kann sehr hilfreich sein. Zum Beispiel, wenn man eine Kolumne zu schreiben hat. Der Bildschirm mit den Buchstaben wird kristallklar, das Durcheinander aus losen Zetteln auf dem Schreibtisch hingegen verschwimmt, und die Telefonate der Kollegen werden ausgeblendet wie ein Schlager im Radio. Meister des Fokus' aber ist der Mäusebussard: Er sitzt auf seinem Zaunpflock und wartet mit seinen scharfen Augen auf kleinste Bewegungen am Boden. Hat er eine Maus erblickt, stürzt er mit tödlicher Zielgerichtetheit im Tiefflug auf sie. Sekundenlang ist die ganze Welt nur ein wuselndes kleines Nagetier da unten.

Dass derlei Fähigkeiten heutzutage aber auch sehr gefährlich sein können, zeigt ein Fall in Lenggries: Dort saß am vergangenen Donnerstag ein Bussard an der Sylvensteinstraße und wartete auf Beute. Als er sie eräugte, schmiss er sich im Sturzflug auf sie - und landete im Kühlergrill eines Autos, das seinem Tunnelblick entgangen war. Der 29-jährige Fahrer aus dem Landkreis Schwäbisch Hall bremste schockiert, rief die Polizei und meldete, dass das Tier "noch flattert". Die Streifenbeamten konnten den Vogel vorsichtig befreien und schließlich der Auffangstation für Eulen und Greifvögel in Otterfing übergeben.

Dem Bussard, übrigens ein zweijähriges Männchen, gehe es den Umständen entsprechend gut, sagt der Leiter der Station Alfred Aigner. Er habe sich bei der Kollision keinen Flügel, sondern nur den Fuß gebrochen, der bereits mit Glasfiberstift im Hohlknochen und Spezialzement vom Tierarzt operiert worden sei. "Insofern hat er Glück gehabt." Den restlichen Winter verbringe der Vogel in der Auffangstation, im Frühjahr könne er dann vermutlich wieder freigelassen werden. Der so kurios klingende Unfall ist laut Aigner im Übrigen keine Seltenheit. Von den etwa 150 verletzten Vögeln, die im Jahr in Otterfing abgegeben würden, sei mindestens die Hälfte mit einem Auto, Lkw oder Zug kollidiert. Die Tiere überlebten häufig, freilassen könne man aber die wenigsten. Insbesondere Ansitzjäger wie der Bussard seien im Verkehr gefährdet: "Die fliegen tief über die Straße und schauen nicht." Wegen ihres hohen Körpergewichts könnten sie meist auch nicht mehr ausweichen.

Autofahrer können daraus eine Lehre ziehen: Mehr Fokus ist nicht immer besser. Den Fuß vom Gas zu nehmen und den Blick gelegentlich an den Straßenrand schweifen zu lassen, entspannt nicht nur, sondern kann womöglich auch einen Greifvogel retten.

© SZ vom 28.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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