Mitten in Geretsried:Wer stört?

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Angeblich nerven kleine Kinder im Bus. Dabei gibt es da viel störendere Auftritte

Von Thekla Krausseneck

Glaubt man den Aussagen mancher Zeitgenossen, dann hat der gemeine Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel genau zwei natürliche Feinde: Kindergartenkinder - und Passagiere, die laut Musik hören. Zugegeben, laute Musik kann nervtötend sein, vor allem dann, wenn sie nicht dem eigenen Geschmack entspricht. Aber Kindergartenkinder? Da gibt es Schlimmeres.

Derzeit steigt in Geretsried an der Sudetenstraße oder eine Station weiter, am Waldfriedhof, immer mal wieder eine ganze Schar dieser laufenden Meter ein, eingemümmelt in dicke Jacken und bunte Mützen, manche mit Brillen, die ihre ohnehin schon großen Augen noch ein wenig größer erscheinen lassen. Zwei oder drei geduldige Erzieherinnen hindern die aufgeregte Meute daran, loszustürmen, bevor der Bus angehalten hat, also vor den Wagen zu springen, statt in ihn hinein; und sobald sich die hintere Tür geöffnet hat, beginnt das Gewusel: Wer erreicht zuerst die begehrte hintere Sitzreihe, wer darf neben welcher Freundin Platz nehmen, wer hat das Pech, allein sitzen zu müssen? Überlebenswichtige Fragen, die sich allerdings in knapp einer Minute geklärt haben. Der Bus kann also weiterfahren. Dem einen oder anderen gefällt vielleicht sein Platz doch nicht mehr: "Anton, setz dich wieder hin", kommt es dann freundlich von der Erzieherin. Mindestens genauso aufregend wie die Busfahrt selbst ist ein Discounter in der Böhmerwaldstraße: "Da ist der Penny!", ruft ein helles Stimmchen. "Da ist der Penny!", stellt auch ein anderes Kind fest. "Der Penny!" - "Da ist der Penny!" Jeder muss es mal gesagt haben, damit es auch alle anderen im Bus glauben: Ja, da ist der Penny.

Irgendwo zwischen Lilienstraße und Bundesstraße 11 beruhigen sich die Kleinen wieder, es wird sogar so verdächtig ruhig, dass sich die Erzieherinnen ein Schwätzchen zugestehen. Sie reden über das Top-Thema der Woche: Germanwings. "Ich hab's gleich gesagt, dass es Selbstmord war", sagt die eine Erzieherin, als wäre sie mit im Cockpit gewesen. "Ja", pflichtet die andere bei, "das hab ich mir auch gleich ganz am Anfang gedacht." Und plötzlich entsteht das unwiderstehliche Verlangen, in die Tasche zu greifen, sich die Kopfhörer aufzusetzen und die Musik laut aufzudrehen.

© SZ vom 07.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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