Mitten in der S7:Gedankenyoga im Bummelzug

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Geübte Pendler haben sich für Chaos-Tage eine Strategie erarbeitet. Nicht ärgern, sondern die Verspätungen nutzen, um Zeitung zu lesen und die Gedanken schweifen zu lassen

Kolumne Von Karin Kampwerth

So eine S-Bahn-Reise hat es in sich, vor allem, wenn diese statt einer Stunde mehr als doppelt so lange dauert. Geübte wie genervte Pendler haben sich deshalb folgende Weisheit an zahlreich erlittenen S-Bahn-Chaostagen erarbeitet: Anstatt sich zu ärgern, lasse man - freilich erst nachdem die Zeitungs-App durchgelesen und alle E-Mails auf dem Smartphone beantwortet wurden - die Gedanken einfach mal schweifen. Der Ausblick vom Fensterplatz der S 7 aus auf gar nicht herbstliche sattgrüne Wiesen vor den mit einem zarten Nebelschleier überzogenen Alpengipfeln macht es einem nun wirklich auch leicht, sich zu entspannen, statt zu verzweifeln.

Den anderen Fahrgästen geht es anscheinend ähnlich. Fast seltsam, dass sich an diesem herrlich sonnigen Donnerstagmorgen so niemand recht aufregen mag oder wenigstens standesgemäß vor sich hingrantelt, weil es schon in der Früh zu erheblichen Verspätungen und Zugausfällen kam, nachdem die Stammstrecke aufgrund eines Polizeieinsatzes gesperrt werden musste und der Fahrplan auch am Vormittag noch ordentlich durcheinander war.

Doch als wäre das alles nicht schon ärgerlich genug, heißt es für die Fahrgäste auf dem Weg nach Wolfratshausen in Baierbrunn erst einmal durchschnaufen. Gute 20 Minuten steht der Zug still, eine Signalstörung, so die Information aus dem Cockpit. Trotzdem: Die Passagiere bleiben fast beängstigend gelassen. Vielleicht auch, weil sich der Zugchef erneut per Durchsage meldet und freundlich fatalistisch versichert, dass er "wirklich alles" dafür tue, um die Bahn trotz inzwischen aufgelaufener 22 Minuten Verspätung "irgendwie heute noch nach Wolfratshausen zu bringen".

Bei so viel "Om" in der Stimme kommt einem die Idee, sich für die Rückfahrt und künftige S-Bahn-Chaostage vielleicht eine Yoga-Matte im neuen Großmöbelhaus zu besorgen. Darauf ließe sich dann auch trefflich über die Aussage eines Mitfahrers sinnieren, der eigentlich mit dem Auto zur Eröffnung jenes XXL-Geschäftes nach Wolfratshausen fahren wollte, dann aber den Zug genommen hat, "weil ich dachte, dass ich schneller bin". Aber, so seine beruhigende Philosophie, mit dem Auto stehe man im Stau, mit der S-Bahn vor dem Signal. Auto und S-Bahn, die seien eben wie das Leben selbst: "Das hat auch seine Vor- und Nachteile." Weisheit kann manchmal so einfach sein.

© SZ vom 12.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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