Mitten in der Region:Tetris auf dem Balkon

Der Frühling kommt. Man will singen und herumstromern. Weil das aber nicht geht, wird eben die Freifläche mit aller Kraft ertüchtigt - und gnadenlos vollgestellt

Kolumne von Claudia Koestler

Ein Blick nach draußen in diesen Tagen, und alles zuckt und lockt: der Frühling! Diese Freiheit! Nix wie raus und ab an die frische Luft! Zu dem Drang nach draußen fehlen nur noch die alten Melodien, und das filmreife Klischee der Renaissance nach dem langen, harten Winter wäre perfekt: einfach losstromern mit einem fröhlichen Lied auf den Lippen, zum Beispiel: "Im Frühtau zu Berge wir zieh'n, fallera".

Doch das Singen überlassen die meisten heutzutage den Vögeln, und gegen das Herumstromern tagsüber unter der Woche erhebt der Arbeitgeber Einspruch. Vielleicht also, weil die Muse zu oft ungeküsst bleibt, scheint sich ein Teil der Bevölkerung einem anderen Tun hinzugeben: dem Balkon-Aufmotzen. Und hier gilt offenbar das Motto: üppiger, größer, und vor allem mehr als der Nachbar. Wie sonst ließe sich erklären, dass immer mehr Balkone so ziemlich mit allem ausstaffiert werden, was sich irgendwie schleppen lässt?

Auf den gerade einmal zweineinhalb Quadratmetern der Nachbarschaft jedenfalls wird leidenschaftlich Tetris für Fortgeschrittene geübt, und so finden sich neben Klapptisch, Liegestühlen, Hockern, Käfigen und Wäscheständern auch noch diverse Olivenstämme, Zitronenbäumchen, Lavendelbüsche und - ein Kühlschrank. Der andere Nachbar hat sogar noch ein Sofa platziert, dazu diverse Lichterketten und - natürlich - den Grill. Und selbst der für einen weitläufigen Biergarten gefertigte Sonnenschirm quetscht sich exakt neben das kleine Gewächshaus. Blöd bloß, dass der Platz nun nur für eines nicht mehr reicht: die Familie.

© SZ vom 03.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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