Mitten in der Region:Mieser Kellner in schicker Livreé

Lesezeit: 1 min

Schlechter Service schadet dem besten Koch

Kolumne Von Claudia Koestler

Das mit der Zeit ist schon so eine Sache. Seit Albert Einstein ist bekannt, dass sie relativ ist. Es soll ja zum Beispiel auch Orte geben, an denen sich der Rhythmus des Lebens grundsätzlich entschleunigt. In solchen Zusammenhängen ist dann meist die Rede von abgelegenen Inselparadiesen, Urlaubsregionen oder der Erinnerung an früher. Und dann wiederum gibt es jene Orte, in denen die Uhren anders gehen. Womit man im Landkreis angekommen wäre.

Es war eines der gehobeneren Restaurants. Das Pärchen am Nachbartisch hatte sich definitiv herausgeputzt, um einen besonderen Abend zu erleben. Die Silberwaren waren feinsäuberlich auf der Stofftischdecke drapiert, die Servietten kunstvoll gefaltet, eine echte Kerze brannte, natürlich in gebührendem Abstand zur einzelnen Blume in einer schlanken, kleinen Vase, um sie nicht anzubruzzeln. Das Personal war nicht minder herausgeputzt, Kellner in schicker Livreé wuselten umher.

Als aber einer der Kellner an den Tisch des Pärchens trat, um ihnen die Speisekarten zu reichen, passierte es: Er blieb vor ihnen stehen, drehte den linken Arm um und schaute auf seine Armbanduhr. Von der Geste irritiert erklärte die Frau: "Entschuldigung, wir brauchen noch etwas, um uns zu entscheiden."

Der Kellner machte zwar auf dem Absatz kehrt und räumte den Gästen die Zeit ein, sich über das Angebot zu informieren. Doch als er die Bestellung brachte, lieferte er die Rechnung gleich mit. "Zeit ist Geld", raunte er dem Pärchen zu, als er abkassierte, noch ehe sie den ersten Bissen geschluckt hatten. Als er schließlich mit seiner Fast-Food-Methode Erfolg hatte und von dannen zog, zuckte der Gast mit den Schultern und relativierte das seltsam hektische Verhalten des Gastgewerbe-Mitarbeiters: "Hier gehen die Uhren wohl anders." Mag sein, dass die Chronometer tatsächlich inzwischen auch in teuren Gastronomien anders getaktet sind.

Eines aber dürfte der Kellner inzwischen gelernt haben: Nicht nur die Zeit, auch das Trinkgeld ist relativ.

© SZ vom 09.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: