Mitten in der Region:Kein G beim Friseur

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Je mehr Regeln es gibt, desto größer die Gefahr, dass sie missachtet werden. Denunziert wird hier aber niemand

Glosse von MARTIN MÜHLFENZL

Viel wird dieser Tage über das typische Denunziantentum geschrieben - vor allem von der Zeitung mit den vier großen Buchstaben, die selbiges ja zur Kunstform erhoben hat. Eine "Steuer-Stasi" beklagt das Blatt mit Blick auf das digitale Meldeportal für Steuersünder, das Baden-Württemberg einführen will - also eine Praxis, die es in der analogen Welt längst gibt. Aber mei, es ist Wahlkampf, und dass da ein Finanzminister der Grünen dort am Werk ist, kommt manch einem gerade recht - und fertig ist der protokollierte Skandal.

Und so sei an dieser Stelle schon verraten, dass hier nichts verraten wird, obwohl es tatsächlich etwas zu verraten gäbe. Regelbrecher gibt es ja nicht nur unter FDP-Wählern, denen schon der Kabarettist Volker Pispers nahegelegt hat, würde nur die Hälfte von ihnen auf Steuerhinterziehung verzichten, gäbe es bei den Steuereinnahmen auch keine Probleme mehr. Und je mehr Regeln es gibt, desto größer ist natürlich die Gefahr, eine von ihnen zu missachten. Zu den neuesten Regelungen gehört 3 G, was in manchen ländlichen Teilen des Landkreises beim Mobilfunk noch nicht mal Standard ist. Aber 3 G heißt in diesem Fall: Geimpft, genesen oder getestet. Wer keines dieser Kriterien erfüllt, kommt in diesen Tagen kaum mehr in einen Innenraum - könnte man meinen.

Aber manch einer scheint den Überblick zu verlieren oder hat seine alte Lockerheit wieder zurück. An der Tür des Friseursalons, nein der Name wird nicht verraten, grüßt der Haarschneider noch corona-konform mit der Faust, bittet mit einer einladenden Geste herein, auch die Maske sitzt akkurat über der Nase. Der Kunde sitzt. "Wie soll's denn sein?", möchte der Friseur wissen und zielt ganz offensichtlich auf die ästhetischen Wünsche des Gastes. "Äh, ich bin geimpft", kommt die leicht irritierte Antwort auf eine nicht gestellte Frage. "Ach schön, ich auch", kommt es zurück. Nach 15 Minuten ist alles vorbei. Die Liste, in der sich die Gäste mit Adresse und Telefonnummer eintragen sollen, bleibt auch unberührt. Aber den Friseur nun hinhängen, weil er eine Regel nicht beachtet hat? Sicher nicht, das wäre zu deutsch.

© SZ vom 13.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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