Mitten in der Region:Die Sofakartoffel

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Hurra, die Schule beginnt! Doch was machen die, die die Schule bereits hinter sich haben?

Kolumne von Lucie Strauhal

Irgendwann sitzt man da, mit dem Abiturzeugnis in der einen und einer Sonnenblume, dem Abschiedsgeschenk der Schuldirektorin, in der anderen Hand. "Jetzt fängt das Leben erst so richtig an!" oder "Jetzt kannst du machen, was du willst", sagen sie. Während sich einige Abiturienten schnurstracks in die Uni begeben und ihr Medizin- oder Jurastudium beginnen, sitzen die anderen schon im Flugzeug nach Thailand oder Australien. Solche Weltenbummler sind dann einfach weg, lediglich ein paar Fotos von Kängurus oder Totenkopfäffchen bekommen die daheim alle paar Wochen zu sehen.

Dann gibt es noch jene ahnungslosen Abiturienten, denen das Geld, der Wille oder die Motivation - meist alles drei - fehlt, um einen Flug zu buchen oder sich gar für ein Studium zu immatrikulieren. Dieser planlose Haufen scheint von Jahr zu Jahr größer zu werden, was wohl am steigenden Bedürfnis nach einem Couchpotato-Dasein der Jugend liegt. Zu gestresst von den vergangenen zwölf Jahren, zu ausgelaugt von den Abi-Prüfungen - oder den Partys danach -, dass man erst mal ein Jahr Pause braucht. Neben ein paar Clubbesuchen, Minijobs und Familientreffen hat man dann tatsächlich nichts zu tun. Man genießt es, fällt in ein tiefes Loch namens Bett und lässt all das Gelernte Tag für Tag aus dem Kopf verschwinden.

Irgendwann, nach sieben oder acht Wochen, setzt plötzlich das Erwachen ein. Man begreift auf einmal, mitten in der dreiundzwanzigsten Staffel einer Doku-Soap, dass das Dasein als ständiger Netflixkunde und Cornflakes-aus-der-Tüte-Genießer gar nicht so prickelnd ist. Und dann sitzt sie da, die Sofakartoffel, und beneidet schon beinahe die Sitzengebliebenen, die zum Schulanfang wenigstens wissen, was sie im kommenden Jahr tun werden. Panisch greift sie nach ihrem Handy, scrollt durch ihr Instagram-Feed, in der Hoffnung, sich vom aufkommenden Gefühl der Machtlosigkeit abzulenken. Und was bekommt sie zu sehen? Fotos vom Dschungel, von der neuen Uni, von der eigenen Wohnung. Die beneidenswerten Posts der Anderen hören gar nicht mehr auf. Und dann muss die Sofakartoffel einsehen, dass es vielleicht doch nicht so schlecht wäre, auf Koh Samui am Strand zu liegen oder in Bogota Mangos zu pflücken. Aber bis zum nächsten Wintersemester sind es ja noch zwölf Monate. Da hat man noch genug Zeit, um zu verreisen. Den Flug könnte man ja schon mal buchen. Wobei, nein, heute kommt doch das Staffelfinale von Grey's Anatomy, der Lieblings-Arztserie. Morgen vielleicht.

© SZ vom 11.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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