Mitten in Benediktbeuern:Azzurro im Wirtshaus

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Wie Italiener beim Maibaumaufstellen Sehnsucht bekommen

Von INGRID HÜGENELL

Benediktbeuern am 1. Mai. Alles ist feucht an diesem Tag, an dem der neue Maibaum aufgestellt wird, feucht und grau. In den Wirtshäusern rundherum ist es deshalb voller als auf der Dorfstraße, wo sich die Burschen seit Stunden mit dem nassen und daher extrem schweren Maibaum plagen, unverdrossen zwar, aber arg spannend ist die Mühsal für die Zuschauer unter den Regenschirmen auf Dauer nicht. In der Wirtschaft kann man bei einem Zwischenstopp zum Mittagessen auch was erleben, was das schauerliche Frühlingswetter draußen kurz vergessen lässt.

Am Nebentisch sitzen etwa zehn Italiener. Vielleicht handelt es sich um Zimbern, das sind Bayern, die vor einigen Jahrhunderten ins Veneto und Trentino ausgewandert sind und dort in mehreren Dörfern leben. Sie pflegen einen guten Kontakt zu Benediktbeuern und gerne kommen Gruppen zu Festtagen ins Dorf. Sehr festlich ist es aber draußen nicht, weshalb die Gäste aus dem Süden es sich nun im Gasthof schmecken lassen. Natürlich konsumieren sie nicht nur Speisen, sondern auch Getränke. "Die sind schon recht lustig, gell?", fragt eine Besucherin die Bedienung. "Ja", lächelt diese, "dabei hab' ich ihnen schon den guten, teuren Schnaps gebracht, damit sie nicht gar so viel trinken."

Ob es wirklich der Schnaps ist oder doch die italienische Lebensfreude? Jedenfalls erklingt kurz darauf von nebenan voll Inbrunst ein Lied, das Adriano Celentano als erster gesungen hat, und das ganz viel Sehnsucht ausdrückt, nach dem Sommer, nach dem Strand und nach der Liebsten. "Azzurro, il pomeriggio è troppo azzurro e lungo per me", schmettern sie.

Übersetzt heißt das: "Blau, der Nachmittag ist zu blau und zu lang für mich." Das bringt es ziemlich gut auf den Punkt. Außer, dass hier nicht der Himmel blau ist.

© SZ vom 04.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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