Mitten in Bad Tölz:Unterwegs im neuen Radl-Mekka

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Erstaunlich, dass die Tölzer so viel Fahrrad fahren. Kann man bei einigen Straßen doch fest davon ausgehen, dort auf irgendeiner Motorhaube zu landen

Glosse von Klaus Schieder

Radfahren ist in Bad Tölz nicht so einfach. Wer vom Kurviertel zur Flinthöhe möchte, muss stramme Waden haben und die Osterleite hinauf ächzen, wahlweise seinen Drahtesel schultern und die Treppe vom Schulgrabe zum Rathaus hochschleppen. Am besten ist es aber vermutlich, wenn er sich in die Touristenradfahrpulks in der Marktstraße einreiht, die das Verbotsschild übersehen und querende Fußgänger mit irgendwas auf Hessisch oder Schwäbisch anblaffen. In der Gegenrichtung gibt es für den Radelnden eigentlich bloß die enge Nockhergasse, auf der er von Dusel sagen kann, wenn er unten am Taubenloch nicht mit verbogenem Rad um den Hals auf der Kühlerhaube eines Autos ankommt. So viel zum Stand des Alltagsradewegekonzepts in der Kurstadt.

Das ist jetzt Ingo Mehner gegenüber so ungehörig wie manche Fahrradfahrer-Kommentare in der Fußgängerzone. Der Tölzer Bürgermeister hat im ersten Amtsjahr schon zwei Radachsen geschaffen, die eine halbwegs ungefährliche Fahrt ins Stadtzentrum ermöglichen - das ist mehr, als in Jahrzehnten zuvor für den Radfahrer entstand. Er hat die Stadtbevölkerung zu zwei Radltouren eingeladen, um im Pulk über gewichtige Vorhaben zu debattieren. Er hat Presseleute mit E-Bikes auf eine Tour von Baustelle zu Baustelle mitgenommen und dabei auch die Nockhergasse nicht gemieden. Er setzt sich aufs Fahrrad, wenn er sich als Rathauschef über irgendjemanden oder irgendwas geärgert hat, und tritt dann stundenlang in die Pedale - vermutlich hat Mehner so alleine die Hälfte der knapp 60 000 Kilometer beim Stadtradeln zusammengestrampelt.

Das alles kann natürlich nur ein Anfang sein. Das Alltagsradwegekonzept wird immer größere Kreise ziehen. Wen beruflich etwas fuchst, der sollte in Bad Tölz künftig verpflichtet sein, sich aufs Fahrrad zu schwingen - damit dürfte die Kurstadt rasch als Ort mit dem dichtesten Radlverkehr in Deutschland bekannt werden. Und die Sitzungen des Stadtrats sollten fortan nur noch im Sattel stattfinden. Das dürfte dann neben der CO₂-Emission auch den Ausstoß heißer Luft um einiges verringern.

© SZ vom 23.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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