Mitten in Bad Tölz:Jagd auf den Rattfratz

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Es ist nicht zu übersehen: Auch in der Kurstadt werden inzwischen virtuelle Viecher gejagt...

Von Klaus Schieder

Der Smartphone-Generation sagt man gerne nach, dass ihre einzige Fitnessübung den Fingern gilt, die in wahnwitzigem Tempo über die Tastatur fliegen. Das ist natürlich Unsinn. Erst recht, seit es das Spiel "Pokémon Go" gibt, das Jugendliche und juvenile Erwachsene auf die Straßen hinaustreibt zu einer Art Schnitzeljagd. In der realen Welt müssen sie virtuelle Viecher fangen, die auf einem Stadtplan im Handy plötzlich auftauchen. Niemand weiß, wann und wo, und nur ein bräsiger Spielverderber würde ganz prinzipiell nach dem Warum fragen. Die Fantasietiere tragen putzige Namen wie Evoli, Bisasam, Schiggy oder Glumanda und sehen meist wie die Huhu-Monster im frühnachmittäglichen TV-Kinderprogramm aus. Andere weisen eine entfernte Verwandtschaft zur tatsächlichen Fauna auf: Taubsi ähnelt einer Taube, die ein besoffener Gentechniker kreiert hat.

Das Spiel hat auch Bad Tölz erreicht, was leicht zu erkennen ist, weil etliche Spaziergänger nun mit gesenktem Kopf und dem Smartphone vor Augen andere Passanten zum Ausweichen zwingen. Die Suche nach Habitaks, Sterndus und Raupys führt sie mitten durch die Badegäste im Isarufer, in die Touristenschar am Bulle-Brunnen, unter die Café-Besucher in der Marktstraße. Aber das ist noch vergleichsweise harmlos. In Wien, zum Beispiel, hat ein Bestattungsinstitut die Spieler per Radio-Durchsage inständig darum gebeten, nicht über die Gräber zu latschen, bei Hannover marschierte eine Pokémon-Gruppe mitten auf einen Truppenübungsplatz, wo Soldaten gerade schossen, nicht virtuell, sondern scharf. Andererseits gibt es auch gute Nachrichten: In Dänemark hat ein Pokemon-Player in einem Abwasserkanal eine Leiche entdeckt, die man sonst wohl kaum gefunden hätte.

Das lässt für Tölz ja noch einiges erwarten. Zu vermuten steht aber erst einmal, dass herumwandernde Spieler künftig etwas Abwechslung in Kursaal-Konzerte bringen, gruppenweise das Landratsamt durchforsten, für Stau im Zentralparkhaus sorgen, sich selbst in die Stadtklinik einweisen. Eine Anlaufstelle dürfte auf jeden Fall der Saal des Feuerwehrhauses sein, wo der Stadtrat tagt. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn dort kein Rattfratz zu finden wäre.

© SZ vom 22.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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