Mitten in Bad Tölz:Hieroglyphen hier wie dort

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Was schnell geschrieben wird, wird auch schnell unleserlich - ob analog oder digital

Von Klaus Schieder

Zu Opas, nun ja, eher schon zu Urgroßvaters Zeiten gab es in der Volksschule ein Fach, das "Schönschrift" hieß. Damals mussten die Kinder das a und e und i und o und u samt all den Konsonanten mit fein säuberlich geschwungenen Linien verbinden, bis die Buchstabenreihen aussahen, als seien sie mit der Radiernadel gestochen. Das Handschriftendesign aus dem Computer wirkt dagegen wie erbärmliches Gekrakel. Und wehe, ein a oder e oder i oder o oder u rutschte einen halben Millimeter unter die Zeile, dann gab's was auf die Pfoten. Vier Generationen später ist alles anders. Den Kids von heute - so vermuten wir - ist es ziemlich wayne, ob jemand ihr Kugelschreibergedrucktes lesen kann. Dafür haben sie ein anderes Talent. In irrwitzigem Tempo fliegen ihre Finger übers Smartphone, wenn sie etwas twittern oder an einen Kumpel simsen, der neben ihnen im Bus oder in der Schulbank hockt. Und dabei gibt es in den bayerischen Lehrplänen gar kein Fach, das "Schnelltippen" heißt.

Verloren ist hingegen unsereiner, der zur Altersgruppe zwischen Ur-Opa und Kids gehört. Bei fast jeder SMS müssen wir fünf Mal von vorne anfangen, und von einer gestochenen Handschrift zu reden wäre reine Dichtung. Das war schon in der Schule so. Ein Deutschlehrer weigerte sich einmal, eine Schulaufgabe zu benoten, weil er sie nicht entziffern konnte. Der Mann, der im Krieg den rechten Arm verloren hatte und mit links schreiben musste, formulierte seinen Zorn über das Gekleckse rechts oben auf dem Blatt. Wir brauchten allerdings einen halben Tag, um den Hinweis zu entschlüsseln. Ein Grafologe hätte da aber auch seine Probleme gehabt.

Nach Jahrzehnten flotten Mitschreibens bei Stadtratssitzungen über Podiumsdebatten bis zu den Schnellsprechübungen, vulgo Vorträgen des Kreisjugendamtsleiters Jürgen Renner ist die Handschrift vollends verschludert. Sie sieht aus wie eine Mischung aus Steno-Sigeln, selbst erfundenen Kürzeln und kryptischen Zeichen, wie sie Aliens in Science-fiction-Filmen angedichtet werden. Ein Gesprächspartner in Bad Tölz fragte uns dieser Tage, ob wir das später eigentlich noch lesen können, was wir da aufs Papier kritzeln - was wir wahrheitswidrig bejahten. Eine andere Interviewpartnerin bot unlängst nach einem sorgenvollen Blick in den Notizblock an, langsamer zu sprechen - was wir heroisch ablehnten. Leider ist das Smartphone eben auch keine Alternative. Wir könnten zwar in irrem Tempo tippen, aber das läse sich dann so: "Sdtkämrrerer Frster sgte i. TÖL STR sinngmeß, es sie imh fuffi, wer uunte ihm Bgm. seie."

© SZ vom 12.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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