Paketfahrer ist ein Stressberuf. In der Ära des Online-Handels gleicht er dem reitenden Boten im Mittelalter: stets unterwegs, immer in Eile, eine Gefahr auf der Straße für andere. Mit stapelweise Kartons in den Armen, auf den Händen und unterm Kinn hastet er treppauf, treppab - schnell die Unterschrift aufs MDE-Gerät, tschüss und wieder rein in den Sprinter. Darum ist es für ihn geradezu gesundheitsfördernd, wenn er ein altes Haus betreten darf wie die Marktstraße 4 in Bad Tölz, in dem sich auch das SZ-Büro befindet. Das ist dermaßen verwinkelt, dass man niemanden auf Anhieb findet, wenn überhaupt. Ratlos steht der Paketbote mit seinen Sendungen im Treppenhaus oder im Hinterhof im ersten Stock, wo er mal so richtig entschleunigen kann.
Im Parterre ist nichts außer dem engen Lift und dem Heizungskeller zu finden. In der ersten Etage folgt ein Freelancer-Büro und der Ausgang in den Hinterhof, wo linkerhand ein Facharzt, ein "Studio für mehr Leben" und eine Orthopädin residieren, halb rechterhand ein Anwalt. Im zweiten Stock eine Gynäkologin und ums Eck herum die SZ, daneben eine Wohnung, die belegt ist, und eine Wohnung, die vermutlich ein Geist gemietet hat. Im dritten Stock noch mehr Wohnungen. Eine Management-Trainerin gibt es da oben nicht, auch wenn zwei Pakete seit Tagen für sie auf der Treppe liegen. Ebenso wenig Herrn Soundso und Frau XY, für die wochenlang Briefe neben dem Lifteingang vergilbten.
Man muss das verstehen: Postfahrer können nicht bis zum Abend in einem Haus umherirren. Außerdem sind die Auskünfte, die sie von Passanten im Hinterhof bekommen, auch nicht immer hilfreich: "Ja, die Orthopädin, die ist, glaube ich, im ersten Stock, nee, Moment, im zweiten, aber ich bin ziemlich sicher, dass die Managementtrainerin gleich hinter der Anwaltskanzlei - oder doch nicht? . . . Jedenfalls hängt im zweiten Stock ein Rettungswegeplan. Bitte, bitte, nichts zu danken." Zeit ist nun mal Geld, Marktstraße 4 ist Marktstraße 4. Falsche Adresse? Egal. Und tschüss!