Mitten im Supermarkt:Der Marie-Antoinette-Moment

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Wer kein Mehl ergattert, könnte stattdessen bei den Süßigkeiten zuschlagen.

Glosse von WIELAND BÖGEL

Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen." Dass der Satz von Marie Antoinette stammt, gilt zwar längst als widerlegt. Vermutlich stammt er von Jean-Jacques Rousseau, der damit gut ein halbes Jahrhundert, bevor die Ehefrau von Ludwig XVI ihren Kopf verlor, die Abgehobenheit der Aristokratie illustrieren wollte. Auch geht es streng genommen um Brioche, also eher so ein Zwischending von Brot und Kuchen. Dennoch, beim Besuch in einem Supermarkt im Landkreis kommt einem die unglückliche Habsburgerprinzessin in den Sinn.

Dort, also im Supermarkt, haben sie offenbar ein Problem mit Leuten, die sich beim Einkaufen nicht mit den oft als haushaltsüblich bezeichneten Mengen zufriedengeben wollen. Darum hat man beschlossen, die Produkte zu rationieren. Dies bekommt der potenzielle Käufer mehrerer Päckchen Mehl zu spüren: Er darf nur die Hälfte dessen mitnehmen, was er ursprünglich mitnehmen wollte. Ob er damit einen Schwarzhandel mit weißem Pulver ohne Rauschwirkung aufmachen oder nur mal so das Nudelholz schwingen und sämtliche Freunde mit Brot, Kuchen vielleicht sogar Brioche verwöhnen wollte, bleibt unbekannt.

Der Blick auf die eigenen Einkäufe lässt dann aber die Befürchtung aufkommen, auch diese nicht in voller Menge aus dem Laden zu bekommen. Mehl findet sich darunter zwar keines, auch die anderen Lifestyle-Produkte krisenhafter Zeiten - etwa Klopapier und diverse Öle - sind nicht dabei. Dafür aber Süßwaren in solcher Menge, dass man diese auf jeden Fall mit Bargeld zahlen sollte, um nicht von der Krankenkasse hochgestuft zu werden. Wenn man die Sachen denn überhaupt erwerben kann. Doch alles kein Problem, weder Schokolade, noch Eiscreme oder anderes Zuckerzeug fallen offenbar in die Kategorie der Produkte mit Nachfrageüberhang.

Vielleicht sollte man an der Ladentür ein Schild aufhängen, wahlweise mit einem Portrait von Marie Antoinette oder von Rousseau, auf jeden Fall aber mit dem Hinweis an die Kundschaft: "Wenn Sie kein Mehl bekommen, nehmen Sie doch Süßigkeiten."

© SZ vom 07.05.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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