Mitten im Isartal:Die Badesaison hat begonnen

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Der letzte Schrei, na ja, das trifft es irgendwie nicht richtig. Die Japaner hab das Ganze erfunden und es heißt "Shinrin Yoku"

Von MICHAEL MOROSOW

Das Laub raschelt unter den Birkenstock-Sandalen, der Wind streicht durch die Baumwipfel, irgendwo ruft ein Kuckuck oder trällert eine Lerche. Hier im Wald, dem Sehnsuchtsort deutscher Romantik, lassen sich Kraft und Ruhe tanken zwischen Tannen und Buchen, und wenn man aus Freude darüber einen Baum umarmt, merkt das kein Mensch. Wie man in den Wald hinein schweigt, so horcht es heraus, denkt der Erholungssuchende. Dann aber vernimmt er von einer nahen Lichtung lautes Schnaufen, so als würden zehn Forstarbeiter ein Trumm Baum auf den Schultern durch den Tann tragen.

In Wirklichkeit ist es eine Gruppe von Menschen, die hier im Isartal im Wald ein Bad nehmen. Zwar ohne Wasser, dafür mit viel Licht, Ruhe, Farben, Geräuschen, Gerüchen und viel Sauerstoff, wie die Anbieter von Waldbaden werben. Ja, liebe Schwammerlsucher und Ausflügler, da seid ihr wohl ein Leben lang von einem "Geräumt" zum anderen gelaufen, aber dass man die Ruhe genießen, den Duft des Waldes riechen und sich Sauerstoff satt in die Lungen ziehen kann, ist euch entgangen. Die Badefreunde breiten ihre Arme aus und atmen in tiefen Zügen, sie sitzen still auf einem Baumstumpf, um das existenzielles Bedürfnis nach Natur zu verspüren. Am Ende sind die Seelen der Teilnehmer gereinigt und diese fühlen sich so stark, dass sie Bäume ausreißen könnten. Was sie freilich unterlassen sollten. Mit all den Mountainbikern, Joggern, Walkern und Gassigehern hat der Wald eh schon genug an der Backe. Jetzt also auch noch die Waldbader.

Und wer hat's erfunden? Die Japaner, die das Ganze "Shinrin Yoku" nennen, was übersetzt "Baden in der Atmosphäre des Waldes" heißt. Japaner aber haben ohnehin einen ganz speziellen Zugang zum Forst. Im Aokigahara Wald etwa knüpfen sie sich an einem Ast auf, statt gesunde Luft zu atmen. Bei Studien mit Testgruppen haben Wissenschaftler die Stressreduktion des Waldbadens gegenüber einer dreistündigen Shoppingtour anhand des Kortisol-Spiegels untersucht. Demnach ist das Waldbaden nicht nur gesünder, es schont auch den Geldbeutel.

© SZ vom 08.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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