Menschen ähneln Gewässern: Manche sind - von außen betrachtet - eher wie stille Teiche, andere gleichen wilden Flüssen. Das Innenleben eines Menschen lässt sich dagegen nicht mit bloßem Auge erkennen, so wenig wie der Grund eines dunklen Sees. Besser ist das - wäre ja auch schade, könnte man jeden Menschen mit einem einzigen Blick erfassen. Womöglich lauert da unter der Oberfläche sogar das eine oder andere, das man gar nicht näher kennenlernen will. Trotzdem gibt es genügend Zeitgenossen, die ihr Innenleben mit Leidenschaft nach außen krempeln: Es wirkt, als wäre das Internet überhaupt nur dafür erfunden worden.
Auf der Videoplattform Youtube gibt es schlicht alles, darunter manches, das besser nie entstanden wäre. Da ist dieser junge Mann, den man in Geretsried oder Wolfratshausen beim Einkaufen treffen könnte, denn unter eben diesen Suchbegriffen sind seine Videos zu finden: Im grauen T-Shirt, mit geschorenen Haaren und Wangen in Pfirsichrosa erzählt er mit dem größten Ernst von einem Dating-Portal, das ihn von der jahrelangen Suche nach einer Frau erlöst habe. Was muss das für ein Gefühl sein, diesem jungen Mann im Laden zu begegnen und sogleich ungewollt seine Stimme im Ohr zu haben, die sagt: "Gleich am Anfang hatte ich mehrere Kontaktanfragen und konnte mir bequem eine Frau aussuchen." Ein erfrischendes Kontrastprogramm dazu ist der User, der sich Andrew Frazer nennt. Im Video "Magnet Fishing" steht ein Mann auf der Brücke am Wolfratshauser Wehr und wirft einen an einer langen Schnur befestigten Magneten in die Loisach. Nach und nach holt er rostige Nägel, Münzen und Kronkorken aus dem Wasser und reiht seine Schätze auf dem Geländer auf. Wenn es schon ein Blick unter die Oberfläche sein muss, dann doch lieber so.