Mitten im Amtsgericht:Sag die Wahrheit

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Die Prozesse sind besser als jeder Kinofilm - denn hier gibt es von jeder guten Geschichte gleich zwei Versionen. Manchmal sogar mehr

Von Konstantin Kaip

Manchmal ist es im Gericht besser als im Kino. Denn auf der Leinwand gibt es zwar gute Storys, aber eben nur eine auf einmal. Im Gerichtssaal aber hat jede gute Geschichte gleich zwei Versionen. Das konnten die Zuschauer am Mittwoch in Wolfratshauser Amtsgericht erleben. Auf Popcorn mussten sie aber leider verzichten. Der Titel des Spektakels: "Herbeiführung einer Brandgefahr". Deretwegen muss sich ein 34-jähriger Angeklagter aus München verantworten. Er soll, so die Staatsanwältin, am 30. Dezember in einem Wald bei Egling ein Lagerfeuer gemacht haben. Der Waldbesitzer entdeckte das und sah einen Mann in Motorradkleidung an den Flammen sitzen. Den forderte er auf, das Feuer zu löschen und den Schaden zu bezahlen. Der Mann aber soll gegangen sein, ohne sich um das Feuer zu kümmern.

Der Angeklagte erzählt eine andere Geschichte: Er habe in dem Wald jedenfalls kein Feuer gemacht, sondern bei seiner letzten Motorradtour des Jahres nur ein "natürliches Bedürfnis" verspürt. Darum sei er in den Wald gefahren, um ein "großes Geschäft" zu erledigen. Weil er sich dazu ausziehen musste, habe er gefroren, und deshalb sei er danach noch ein wenig spazieren gegangen. Dabei habe er sich verlaufen, und als er zum Motorrad zurückkam, sei sein Helm weg gewesen. Den hatte die Polizei, die der Waldbesitzer verständigt hatte, am Straßenrand gefunden und mitgenommen - zur "Eigentumssicherung", wie es ein als Zeuge geladener Polizist formuliert. Für den Motorradfahrer eine dumme Situation. Er sei noch eine Weile herumgelaufen, um die Dunkelheit abzuwarten, sagt der Angeklagte, und dann eben ohne Helm zurück nach München gefahren.

Auf dem Heimweg fuhr er jedoch barhäuptig an der Grünwalder Polizei vorbei, berichtet wiederum der Beamte. Die nahm die Verfolgung auf, fand das Motorrad schließlich vor einer Bank und bald auch den Mann. Nach einer Personenkontrolle hat er seinen Helm zurückbekommen und einen Strafzettel dazu.

Und wie war das mit dem Feuer? Das muss nun der Richter klären, der die Hauptverhandlung ausgesetzt hat. Am Montag soll auch der Waldbesitzer als Zeuge aussagen. In der Fortsetzung wird es außerdem um eine Brille gehen, die am Feuer gefunden wurde. Die Polizei sagt, der Angeklagte habe zugegeben, dass es seine sei. Der hingegen behauptet, er habe die Aussage lediglich verweigert. Schließlich müsse er laut Führerschein eine Brille tragen, im Winter könne man das beim Motorradfahren aber nicht, weil die Gläser sofort beschlagen. Da er aber "nicht noch einen Strafzettel wollte", habe er lieber geschwiegen. Zwei andere Geschichten also, zwischen denen der Richter entscheiden muss. Ganz ohne Popcorn.

© SZ vom 11.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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