Lokale Versorger:"Die Menschen hier sind von der Natur geprägt"

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Lokale Versorger kritisieren längere Laufzeit für Atomkraftwerke. Der Stadtwerkechef in Bad Tölz hält dies für "Politik gegen die Bevölkerung".

Birgit Lotze

Die Regierung will die Laufzeiten von Atomkraftwerken verlängern - auch, um damit erneuerbare Energien fördern zu können. Blödsinn, ist die einhellige Meinung der Produzenten von Ökostrom im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. Von "massivem Rückschritt" ist die Rede bei Vertretern der Energiewende Oberland. Gewinner sei einseitig die Atomwirtschaft, sagt Thomas Martin, Mitglied im Stiftungsrat und Geschäftsführer der Energiewende Oberland GmbH. "Für die Energiewende ist das fatal."

Lokale Versorger haben zuletzt immer mehr Ökostrom ins Netz gespeist. Ihre so eroberten Marktanteile sehen sie nun wieder in Gefahr. (Foto: Hartmut Pöstges)

Sowohl in der Photovoltaik als auch in der Wärmeversorgung seien von der schwarz-gelben Regierung bereits in den vergangenen Monaten "reduzierende Maßnahmen" ergriffen worden. Der Solarberater Manfred Zäh, der für die Energiewende Oberland Königsdorf betreut, erinnert daran, dass der im Landkreis geplante dritte Solarpark "auf Eis gelegt werden musste". Die Einspeisevergütung für die Stromproduzenten sei nach und nach zurückgefahren worden, die Anschaffung lohne sich wirtschaftlich nicht mehr. "Die erneuerbaren Energien werden in Fortschritt gehemmt. Und jetzt wird im Gegenzug die Atomlobby gefördert."

Martin Hofmann, Geschäftsführer der Tölzer Stadtwerke, bezeichnet die Entscheidung der Regierung als "Politik gegen die Bevölkerung". Er hofft, dass sie dennoch kaum Auswirkungen hat auf die Bemühungen in Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen, der in der Förderung regenerativer Energien als besonders fortschrittlich gilt. Die Tölzer Stadtwerke zum Beispiel bieten seit vergangenem Jahr ausschließlich Energie aus erneuerbaren Quellen an. Vom Kleinabnehmer bis zur großen Firma wird jeder mit Strom versorgt, der weder aus Atom- noch aus Kohlekraft- oder Gaswerken kommt - das ist einzigartig in Bayern. "Die Menschen hier sind von der Natur und der Landschaft geprägt und wollen nachhaltige Konzepte", meint Martin Hofmann.

Die Tölzer Stadtwerke produzieren den Strom zu 20 Prozent selbst, in dem Biomassekraftwerk auf der Flinthöhe, im Wasserkraftwerk an der Isar, in Photovoltaikprojekten und in der heimischen Holzhackschnitzelanlage. 80 Prozent des Bedarfs wird aus Wasserkraftwerken im österreichischem Kaprun dazugekauft. In ferner Zukunft wollen die Stadtwerke den kompletten Bedarf selbst produzieren. 2035 soll das Ziel erfüllt sein, so steht es in der "Vision" der Energiewende Oberland, in der das Oberland zur "Bioenergieregion" ausgebaut wird.

Sämtliche Gemeinden im Landkreis mit Ausnahme Bichls haben sich in der Energiewende Oberland zusammengeschlossen und unterstützen deren Konzept als Stifter. Allerdings sind sogar die meisten Gemeinden noch nicht soweit, dass sie selbst komplett Ökostrom nutzen. Eurasburg zum Beispiel kooperiert mit Eon. "Der Gemeinderat konnte sich nicht für den etwas teureren Ökostrom durchringen", sagt Bürgermeister Michael Bromberger. Deshalb sei für die Schulen und anderen gemeindlichen Einrichtungen der Mustervertrag des Gemeindetags übernommen worden.

Die Wolfratshauser Stadtwerke sind bislang keine Stromversorger, hier plant man für Mitte September die erste Photovoltaikanlage auf dem eigenen Dach, der Strom für die Stadt wird in Bad Tölz gekauft. Auch Geschäftsleiter Jürgen Moritz ist nicht glücklich über das neue Energiekonzept. "Das verzögert den wünschenswerten Ausbau der erneuerbaren Energien", sagt er. Außerdem könne der Wechsel der politischen Vorgabe, schließlich wurde in jüngster Zeit auf den Einstieg in erneuerbare Energien gesetzt, für viele Stromproduzenten zur "unnötigen wirtschaftlichen Belastung" werden.

In der Energiewende Oberland sind auch Privatpersonen aktiv. Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner hat sich ebenfalls als Stifterin eingetragen.

© SZ vom 08.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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