Es gibt ja einige Plätze, an denen man schon immer gerne einmal Konstantin Wecker begegnet wäre. Abends auf fremden Balkonen etwa, um aus einem jener Lieder zu zitieren, die einen durch die Jugend begleitet haben. Das Geretsrieder Schulzentrum an der Adalbert-Stifter-Straße wäre einem in diesem Zusammenhang nicht unbedingt eingefallen, aber sei's drum: Wecker, der Überraschungsgast des Geretsrieder Kulturherbsts 2012, hat zum Pressegespräch geladen, ein schöner Termin!
Bereits im Treppenhaus der Musikschule zeichnet sich ab, dass es in der Gegend deutlich mehr Journalisten geben muss, als man es bislang für möglich gehalten hätte. Dann ein Blick in den Konzertsaal: Dicht bestuhlt und gut gefüllt - was geht hier vor? Musikschulleiterin Vera Kraus klärt auf: Ja, dies sei ein Pressetermin, aber auch ein Dankeschön an alle Organisatoren, Sponsoren, Statisten und ehrenamtlichen Helfer des Kulturherbsts. "Ein Zuckerl." Ein Münchner Liedermacher zu Gast in Geretsried: Das mobilisiert nicht nur den Kulturreferenten Hans Ketelhut, auch Banker, Unternehmer und der Immobilienmakler Carl-Heinz Bartsch haben sich zu dem Vorab-Termin eingefunden, daneben echte Fans wie Helferin Beate Mews, die heute ihre Arbeit abgesagt hat: "Weil ich unbedingt dabei sein muss." Ihre Lieblingslieder? "Genug ist nicht genug" und "So a saudummer Tag".
Noch immer ist der stimmgewaltige Poet nicht eingetroffen, dafür macht das Gerücht die Runde, dass er heute doch nicht die Lieder vorstellen wird, die er für das Stück "Aufstand" komponiert hat. Ein Gerücht, das sich um Viertel nach elf - der Meister betritt unter Applaus den Saal - erhärtet: "Mir hat's die Stimme zerbröselt", sagt Wecker zerknirscht und hüstelt. "Ein bisserl reden kann ich, aber singen ist leider nicht drin."
Bürgermeisterin Cornelia Irmer ist um so begeisterter: "Genial gut, dass Sie sich auf den Weg hierher gemacht haben!", ruft sie. Auch ist der Sänger nicht allein gekommen. Neben Günther Wagner, dem Autor des Dramas "Aufstand", das am 6. Oktober uraufgeführt werden soll, wird Wecker von den Hauptdarstellern, dem Regisseur und seinem Musikproduzenten Florian Moser flankiert, den Irmer irrtümlich für einen Schauspieler hält und als Kurfürst Max Emanuel begrüßt, aber das nur nebenbei. Wie die Hähne auf der Stange sitzen die fünf vor dem gespannten, mit Kameras gespickten Auditorium.
Dass die folgende halbe Stunde nicht quälend wird, ist der Rampen-Routine der aufgereihten Mannschaft zu verdanken, vor allem aber dem Charme, den Wecker selbst im heiseren Zustand zu verströmen versteht. Er parliert mit Wagner über die Entstehung des Stücks, das die Geschichte der Sendlinger Mordweihnacht im Jahr 1705 kriegskritisch und aus der Sicht der einfachen Leute wiedergibt ("Das hat mich einfach überzeugt") und erzählt, wie er die Lieder dazu komponiert hat. Dass er alle Stimmen, auch die Chor- und Frauenpartien, selbst gesungen und aufgenommen habe, um den Schauspielern eine Hilfestellung bei der Interpretation zu geben: "Meistens beschweren sie sich dann, weil es zu hoch ist." Insgesamt sei das Ganze "ziemlich rockig" geworden, wobei er sich bemüht habe, auch einen ländlichen und altertümlichen Tonfall reinzubringen.
Dann gibt es eine Kostprobe aus der Konserve. Weckers Vorschlag, für das Lied noch einen Laienchor der Musikschule zu mobilisieren, geht in einer Lobrede der Bürgermeisterin unter, die vom Refrain "Bauer, steh auf! Pack dein Leben beim Schopf!" tief berührt ist: Solch einen Zuspruch könnten auch heute viele Leute vertragen, die immer nur jammerten, erklärt sie. "Dieser Refrain ist mir unheimlich nahe gegangen."
Mittlerweile ist der richtige Kurfürst in Kroko-Schuhen eingetroffen, kommt aber nicht mehr zu Wort, weil jetzt noch ein großes Foto-Shooting am Flügel angesagt ist. Wecker nimmt Platz, greift in die Tasten, improvisiert ein paar Takte über "Wenn der Sommer nicht mehr weit ist" - und da ist sie, die Gänsehaut. Einmal so Klavierspielen können! Dann ist auch das Shooting vorbei. Wecker und die Kollegin vom BR ziehen sich zurück. Pressekonferenz.