Kulturelle Neuerungen für Bad Tölz:"Sie sollen zeigen, was sie können"

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Susanne und Christoph Kessler rufen einen Internationalen Streicher-Wettbewerb für junge Spitzen-Quartette ins Leben. Das Preisgeld beträgt 20 000 Euro

Von Stephanie Schwaderer

Ein Gespür für junge Talente, Wagemut und Organisationsgeschick gehen bei Susanne und Christoph Kessler Hand in Hand. Seit 30 Jahren mischt das Ickinger Ehepaar kräftig in der Klassik-Szene des Oberlands mit, was ihm überregionales Renommee und einen Tassilo-Preis der SZ eingebracht hat. Zuletzt riefen die beiden in Bad Tölz die Konzertreihe "quartettissimo" und den "Tölzer Klassik Gipfel" ins Leben. Nun haben sie sich noch einmal etwas ganz anderes einfallen lassen: den 1. Internationalen Streicher-Wettbewerb Bad Tölz, der in zwei Jahren erstmals über die Bühne gehen soll.

SZ: Herr Kessler, gibt es in Ihren Augen zu wenige Wettbewerbe für junge Streicher? Oder hat Sie der Gedanke gereizt, noch einmal etwas ganz Neues zu wagen?

Christoph Kessler: Beides. Die Idee zum Wettbewerb ist in den Corona-Monaten gereift. Wir haben uns überlegt, wie wir speziell jungen Quartetten helfen können, die alle lange pausieren mussten, jetzt aber in den Startlöchern stehen.

Es ist gerade fünf Monate her, dass Sie den Tölzer Klassik Gipfel ins Leben gerufen haben. Und nun schon wieder ein neues Format?

Den Tölzer Klassik Gipfel haben wir gegründet, um alle Konzerte nachzuholen, die wir coronabedingt absagen mussten. Er hätte im April stattfinden sollen und wurde nun auf den Oktober verschoben. In den vergangenen Wochen haben wir uns gefragt, wie wir ihn sinnvoll weiterführen könnten. Festivals gibt es ja schon einige in der Region; und denen wollen wir keine Konkurrenz machen. So kamen wir auf die Idee, unsere Kraft und unsere Möglichkeiten in einen Wettbewerb zur Förderung ausgezeichneter junger Streichquartette zu stecken.

Der Tölzer Klassik Gipfel wird also durch den Wettbewerb abgelöst?

Ja, unser Interesse gilt seit langem jungen Quartetten. Zudem folgen wir seit jeher dem Grundsatz, nur Ensembles einzuladen, die wir vorher gehört haben. Der Vorteil bei einem Wettbewerb ist, dass wir viel mehr Quartette erreichen können als bei einem Festival. Und die Auswahl der besten wird auf eine seriöse und fundierte Grundlage gestellt, so dass wir dann in den Folgesaisons junge Spitzen-Quartette einladen können.

Haben die Musiker auch einen Vorteil?

Es gibt insgesamt 20 000 Euro Preisgeld. Und für das Sieger-Quartett wird die Konzertagentur Hampl, die auch in der Jury vertreten ist, eine Konzerttournee durch Europa veranstalten. Das ist, denke ich, schon attraktiv. Ein junges Quartett hat davon mehr als von einem einzelnen Auftritt.

Wie sieht das Prozedere aus?

Wir werden im Oktober eine europaweite Ausschreibung starten. Ich habe einen Verteiler vorbereitet mit mehr als hundert Adressen von Musikhochschulen und Streichquartett-Akademien, angefangen in Deutschland über Österreich, Frankreich und Spanien bis nach Belgien, Niederlande und England sowie in die nordischen Länder und weiter bis nach Moskau, Sankt Petersburg und Israel. Die Bewerbungsfrist beginnt im November und läuft bis Oktober 2022. Aus den Einsendungen, die auch Youtube-Videos beinhalten müssen, werden dann acht Quartette ausgewählt und zum ersten Streicherquartett-Wettbewerb nach Bad Tölz eingeladen.

Die Auswahl wird eine hochkarätig besetzte Jury treffen. War es schwer, sie zusammenzustellen?

Etwas Zeit musste ich schon investieren. Besonders stolz bin ich darauf, dass wir Günter Pichler als Chairman gewonnen haben. Er ist nicht nur Gründungsmitglied des Alban Berg Quartetts, sondern einer der führenden Experten für die Ausbildung von Streichquartetten in Europa. Mit Gustav Frielinghaus, dem Primarius des Amaryllis Quartetts, sind wir seit langem befreundet. Volker Jacobsen, Gründungsmitglied des Artemis Quartetts, lehrt in Hannover. Helena Poggio vom Cuarteto Quiroga ist Professorin für Kammermusik in Madrid, František Souček vom Zemlinsky Quartet unterrichtet in Prag und Antti Tikkanen aus Helsinki leitet das Finnish Oulunsalo Music Festival. Die Juroren sind eine große Hilfe, sie bringen ihren gesamten Sachverstand ein.

Mit wie vielen Einsendungen rechnen Sie?

Das ist jetzt die Masterfrage. Ich habe das ja noch nie gemacht. Acht werden es schon werden ( lacht), vielleicht auch 20 oder mehr. Es wird jedenfalls spannend.

Wie soll der Wettbewerb in Tölz ablaufen?

Die ausgewählten acht Quartette werden am 16. April 2023 im Kurhaus gebeten, jeweils eine Dreiviertelstunde zu spielen. Das Vorspiel ist öffentlich, so dass nicht nur die Jury, sondern auch möglichst viele Besucher sich ein Bild machen können. Bei anderen Wettbewerben sind es manchmal nur zehn oder zwanzig Minuten, das halte ich für absurd; in dieser kurzen Zeit lässt sich doch kein fundiertes Urteil über die Qualität abgeben.

Aber acht mal eine Dreiviertelstunde - da braucht man schon Sitzfleisch.

Ja, das wird einen ganzen Tag dauern. Zwei Blöcke a drei Stunden. Aber mit abwechslungsreichen Darbietungen unterschiedlicher Werke.

Die Sie auch genießen werden?

Natürlich. Der ARD-Streichquartett-Wettbewerb, den meine Frau und ich immer besuchen, dauert fünf, manchmal sogar mehr Tage. Und erst durch das lange und genaue Hören bemerkt man die Unterschiede. Es gibt so viele Parameter, die man beobachten kann. Die Musiker spielen ja nicht nur Noten ab, da wird phrasiert und miteinander kommuniziert und vieles mehr. Das sieht man nur, wenn man live dabei ist und viele Quartette hintereinander und deren Unterschiede direkt erleben kann.

Die Jury wird drei Quartette auswählen. Wie geht es dann weiter?

Die drei werden am nächsten Tag wieder jeweils eine Dreiviertelstunde spielen. Andere Stücke, die dann schon anspruchsvoll sind: Klassiker wie 'Der Tod und das Mädchen' von Schubert oder ein spätes Beethoven-Quartett, ein Brahms-Quartett oder einen späten Dvořák. Da sollen sie schon zeigen, was sie können. Die Platzierung wird am Nachmittag bekanntgegeben. Und in den folgenden drei Tagen gibt es dann die drei Preisträger-Konzerte.

Woher stammen die 20 000 Euro Preisgeld?

10 000 Euro spenden meine Frau und ich als ersten Preis. Den Rest muss man zusammenbekommen über Anträge, Zuwendungen, Rücklagen. Ich werde mich auch bemühen, an europäische Töpfe zu kommen, wobei das auch Neuland für mich ist.

Klingt nach einem Haufen Arbeit.

Wir wollen neue Möglichkeiten schaffen, ohne dass es zu viel Arbeit wird und ich wieder krank werde. Dankbar sind wir der Stadt Bad Tölz, die uns fördernd - logistisch und finanziell - begleitet. Bürgermeister Ingo Mehner ist Schirmherr, Christoph Botzenhart, der Kulturbeauftragte, ist begeistert, ebenso die stellvertretende Kurdirektorin Susanne Frey-Allgaier. Der Wettbewerb konzentriert sich auf zwei Tage. Die Vorbereitungen kann ich größtenteils am Schreibtisch machen. Das ist verträglicher. Und es macht mir auch Spaß. Bei der Adressensuche, die mich gut eine Woche gekostet hat, habe ich wieder viel gelernt über die Struktur der Quartett-Ausbildung in Europa. Das war sehr interessant.

Sie betreten gerne Neuland?

Als Molekularbiologe bin ich immer gerne auf Kongresse gefahren, habe Leute kennengelernt, etwas Neues herausbekommen, Dinge organisiert. Meine Frau ist Musikerin. Gemeinsam können wir unsere Fähigkeiten in unseren Projekten zur Geltung bringen. Dafür bin ich dankbar.

© SZ vom 24.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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