Künstlerin Ruth Kohler:Pulsierende Farben

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Die Künstlerin Ruth Kohler lädt zum Besuch in ihrem Atelier ein und zeigt dabei auch ein Dytichon, das am Tag nach den Terroranschlägen von New York entstand.

Barbara Szymanski

Ruth Kohler braucht Hilfe. Denn im Schweinestall des ehemaligen Bauernhofes mitten im Münsing sind unzählige großformatigeBilder sowie Diptychen und Triptychen der Künstlerin fein säuberlich aneinander gereiht. Vorsicht ist geboten, wenn diese Gemälde präsentiert werden. An diesem Tag sind die staunenden Mitglieder des Ostuferschutzverbands (OSV) bei der 1929 geborenen Malerin zu Besuch.

Künstlerin Ruth Kohler in ihrem Atelier. (Foto: Georgine Treybal)

Einige der wenigen Männer, die den Atelierbesuch an diesem strahlenden Spätsommersamstag wahrnehmen, wuchten die Exponate aus dem Magazin. Die gut 30 OSV-Mitglieder setzen sich mit der Kunst von Ruth Kohler auseinander. "Hochdramatische Farbgebung" kommentieren sie und bitten darum, das eine oder andere Großformat zu drehen. Vielleicht ist die Wirkung dann ja noch größer. Einige fragen nach der Geschichte der Bilder. "Die brauchen keine", sagt die Künstlerin dazu kurz und knapp. "Denn meine Bilder entfalten sich im malerischen Prozess." Vom Figürlichen weg entwickelte sie ihre dynamische Bildsprache, zunächst über die Darstellung der Geschwindigkeit.

Viel möchte die Münsinger Künstlerin, die in den Fünfziger Jahren in München bei Professor Franz Nagel studiert und bei Fernand Léger hospitiert hat, nicht über ihre Bilder sagen. Sie gebe eben pulsierenden Farben eine Form, indem sie diese mit Grau, Weiß oder wuchtigen Pinselhieben in Schwarz beruhige und einteile, sagt Kohler; und die kunstinteressierten Männer hängen weitere Bilder an die Wand des "Saustalls", wie Kohler augenzwinkernd zu ihrem Magazin sagt.

"Glücklich" sei sie, in Münsing zu leben, sagt die aus Oberfranken stammende Pastorentochter, die mit dem Dokumentationsfilmemacher Werner Prym früher alle fünf Kontinente bereiste. Wie viele Künstler hat auch Kohler ein Händchen für einen romantischen Garten, in dem für die Besucher vom Schutzverband eine Kaffeetafel aufgebaut wurde. Gleich neben ihrem neuen Atelier in einem einfachen hölzernen Pavillon steht der Tisch. Auch Im Pavillon lehnen Bilder an der Wand, Fingerübungen - also kleine Kompositionen auf Papier - liegen auf einem Tisch.

Übergroßes Diptychon

Drei Plätze hat Ruth Kohler zum Malen: den "Saustall", das Atelier unter dem Dach und eben das neue im Pavillon. Nicht wenige Bilder älteren Datums übermalt sie. Warum? Darauf hat sie keine Antwort, schmunzelt nur und zeigt einige Beispiele. Und dann versteht der Betrachter: Es entstehen spannende Schichtungen, neue Farbimpulse und -temperaturen, ein anderer Rhythmus aus neuen Erkenntnissen oder Erlebnissen. So ist vielleicht auch "Der Spaziergang" entstanden, der vom Duktus und den kräftigen Farben an das weltberühmte Bild mit demselben Titel von August Macke erinnert.

Dann wird es plötzlich ganz still im Saustall. Ruth Kohler lässt einen Besucher ein übergroßes Diptychon herausziehen. Es passt nicht an die Nägel in der Wand und wird deshalb nur angelehnt. Die Leinwand blutet, giftiges Gelb schockiert, staubgraue Nebel steigen auf, die schwarzen Flächen entfalten beklemmende Sogkraft. Doch über allem befriedet ein Stück blauen Himmels die Szene. Ruth Kohler hat beide Bilder am 12. September 2001 gemalt - einen Tag nach den schrecklichen Terroranschlägen am 11. September in New York und Washington.

Die Künstlerin, die oft in den USA weilt und dort auch ausstellt, hat sich mit diesem epochalen, nicht gegenständlichen Gemälde damals ihre Erschütterung über den Tod von über 3000 Menschen im World Trade Center und ihre Hilflosigkeit vor so viel Gewalt von der Seele gemalt. Die Betrachter atmen tief durch und erkennen: Der Tag des Besuchs - es ist der 11. September.

© SZ vom 17.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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