"Kreuz und quer":Beständig im Wandel

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Zum 33. Mal finden an diesem und dem folgenden Wochenende die Ateliertage Berg/Icking statt. Künstlerinnen und Künstler empfangen die Besucher in ihren Werkstätten zwischen Ebenhausen und Ammerland

Von Felicitas Amler

Wie schön die Vergänglichkeit aussehen kann, wenn Christiane Leimklef sie in die Finger bekommt. Die Künstlerin sammelt alles, vom Schwemmholz über Wohlstandsmüll bis zu alten Schuhen. Und dann verwandelt sie diese Gegenstände mit Witz und Poesie. Da schweben Knochen und Federkiele wie zarte Vögel an feinen Stangen. Da wachsen zwei Porzellanbruchstücke zu einem Hund mit Gartenzwergkopf zusammen. Und ein löchriger Dosendeckel schimmert wie eine antike Goldbrosche.

Leimklef ist seit vielen Jahren bei den Ateliertagen dabei, und das sehr gern. "Die Gruppe ist eine Bereicherung", sagt sie. Wenn sie ihr Atelier in Ebenhausen für die Besucher vorbereitet, kann sie Rückschau aufs eigene Tun halten. "Man wird sich klar über seine Sachen, wenn man das alles richtet." Diesmal habe sie entdeckt, wie sehr sich "mein Schwarz", wie sie es nennt, durch ihre Arbeiten ziehe. Tuschearbeiten sind dies, und Leimklef ist darin mindestens so eine Künstlerin wie im Verwandeln der Vergänglichkeit.

Mit meisterlichem feinem Strich bringt sie Gesichter zu Papier, die in einem Werk über Verständigungsschwierigkeiten in Europa die verschiedenen Nationen repräsentieren. Mit großer Geste wirft sie Tuscheflächen und aufgebrochene Gitter auf dünnes Packpapier - eines ihrer Lieblingsbilder. Es steht für Aufbruch - ihr Lieblingsthema. "Es gibt so viel Eingeengtes", sagt Leimklef. Sie denkt an Flüchtlinge ebenso wie an eingesperrte Tiere: "Ganz furchtbar!" Also öffnet sie. Die schwarze Erdkruste etwa, durch die sich ein ockerfarbenes Samenkorn zwängen möchte, oder den - realen - Vogelkäfig, der nun zerborsten als Exponat präsentiert wird.

Das Thema der aktuellen Ateliertage hat Leimklef auf ihre Weise interpretiert: "Kreuz und quer durch mein Schaffen." Das reicht vom weiter zurückliegenden Ver-Tuschen teuerster Produkte in einem Ferragamo-Katalog ("Ich habe den Konsum übermalt") bis zur neuesten Arbeit, einer beschwingt-illustrativen Serie über alte Songs. Da finden sich "My Way" von Frank Sinatra oder "Let's do it" von Eartha Kitt. "See you later alligator" von Bill Haley hat Leimklef mit einem stilisierten Alligator versehen - und einem schwarzen Attribut: "Das ist die Handtasche, zu der er wird", sagt sie lächelnd.

Solch Pfiffigkeit ist auch der Keramikerin Gerdi Herz in Irschenhausen eigen. Über die rotbraun-schwarz changierende tönerne Plastik einer Sitzenden mit dem Titel "Penelope wartet" sagt sie lakonisch: "Die wartet so lange, die ist schon ganz versteinert." Versteinert wirkt indessen nichts bei Gerdi Herz. Ihre Figuren sind von einer Lebendigkeit, dass es eine Freude ist, sie zu betrachten. Die "verrückten Vögel", die sie auf einer Bank aufgereiht hat: drei freche langschnäbelige Tiere auf Rollen wie Kinderspielzeug. Oder die vier aufgeweckten Gänse, von denen zwar nur die Köpfe aus einem schmalen Tonblock herausragen, deren Schnattern man aber schier hören kann. In einem anderen Raum ein großer, majestätischer Rabe, aufrecht auf einer Stele sitzend, in sich ruhend und dabei die ganze Intelligenz ausstrahlend, die diesen Tieren nachgewiesen ist. Und dann dieser Stier! Er hat den bulligen Schädel leicht nach unten gebeugt, scheint zum Angriff bereit zu sein. "Ein Kampfstier", sagt die Künstlerin, das sei eigentlich gar nicht ihrs, denn sie lehne den Stierkampf wegen Tierquälerei ab. Aber hier - sie offenbart es mit gewinnender Ehrlichkeit - sei ihr einfach der Ton immer wieder eingeknickt, so habe sie sich denn gefügt.

Mit der Darstellung von Tieren hat die gelernte Medizinisch-Technische Assistentin Gerdi Herz schon vor Jahrzehnten begonnen, als sie - bis dahin nicht künstlerisch ausgebildet - an einem Töpferkurs teilnahm. Von Gefäßen wie Zuckerdosen und Bechern ("So langweilige Sachen") hatte sie bald genug. Der erste Versuch einer figürlichen Form: ein Pferd. Ausgerechnet, sagt sie heute, als hätte es nichts Leichteres gegeben. Das Ergebnis sei denn auch "furchtbar" gewesen - "bissel a Frühgeburt". Auch darüber kann sie lachen.

Christiane Leimklef präsentiert sich "kreuz und quer" durch ihr ganzes Schaffen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Seitdem hat sie sich jedenfalls derartig perfektioniert, dass ihr Haus voll ist von menschlichen und tierischen Figuren; sie sitzen, stehen, hängen, liegen überall. "Ich stelle eigentlich nirgends fremd aus", sagt Gerdi Herz. Die Ateliertage, an denen die Besucher direkt zu den Künstlern kommen, hat sie vor mehr als dreißig Jahren mitbegründet: "Gerd Jäger, Dazze Kammerl, Hannelore Jüterbock und ich." Aber auch den Kontakt zu den Freundinnen, mit denen sie die Keramikkunst einst begonnen hat, hält sie heute noch. "Wir sind die neun Tontauben, früher haben wir jeden Dienstag zusammen getöpfert, jetzt treffen wir uns jeden Dienstag hier, seit vierzig Jahren."

Gerdi Herz stellt in ihrem Haus in Irschenhausen gemeinsam mit der Malerin Sissi Edler aus. Die beiden harmonieren miteinander - als Freundinnen, die sie seit langem sind, und als Künstlerinnen. Edlers Mischtechnik-Arbeiten geben an einigen Stellen dieser über zwei Etagen reichenden Schau den Hintergrund zu Herz' Keramiken ab, Ton in Ton. "Ich bin inspiriert von der Natur", sagt die Malerin, "von Wasser, vom Meer, auch von Wänden." Viele Schichten füge sie übereinander, Acryl, Pigment, Öl. Das Motto der Ateliertage passe zu ihrer Arbeitsweise, sagt sie: "Kreuz und quer." Sie steht vor einem ihrer völlig abstrakt wirkenden Bilder und sagt augenzwinkernd: "Da sind drei stilisierte Vögel." Man ahnt sie mehr in den schwarzen Strichen, als dass man sie sähe. Ein schönes Versteck jedenfalls.

© SZ vom 12.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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