Kommentar:Schädlicher Aktionismus

Mitte der 1950er Jahre wird eine Straße nach dem Architekten Paul Wenz benannt - doch der war im Nationalsozialismus Truppenführer der Sturmabteilung (SA). Jetzt wollen die Bürgermeisterin und ein Bürger die Straße umbenennen lassen

Von Claudia Koestler

Da ist aber mal gründlich etwas schief gelaufen in Icking. Ein Bürger entdeckt, dass ein örtlicher Architekt unter den Nationalsozialisten Truppenführer der Sturmabteilung (SA) war, der paramilitärischen Kampforganisation der NSDAP. Trotzdem wurde dem Architekten Paul Wenz noch Mitte der 1950er Jahre eine zentrale Verbindungsstraße in Icking gewidmet, bis heute der "Wenzberg". Für einen aufmerksamen Bürger untragbar, er fordert die Umbenennung. So weit, so löblich - hätte von diesem Moment an eine bedachtsame Aufarbeitung der Geschichte begonnen.

Stattdessen aber packte sowohl den Bürger wie die Bürgermeisterin der Übereifer, ein neuer Name - "von-Hofacker-Steig" - war schnell auf dem Tisch. So ungefragt in die Öffentlichkeit gezerrt, fühlt sich ein Träger dieses Namens nun aber verletzt. Das Problem hätte sich noch rechtzeitig klären lassen, hätte nicht auch die Bürgermeisterin flugs einen zweiten Schritt vor dem ersten getan mit ihrer blitzartigen Umfrage bei den Anliegern. Warum die Eile? Gut, wenn jemand nichts unter den Teppich kehrt. Aber gut gemeint ist eben nicht immer gleich gut gemacht. Durch den Aktionismus entstand der Eindruck, es wurde einfach nur schnell agiert, obwohl das gesamte Ausmaß des Problems noch gar nicht erfasst ist. Doch in der Politik ist es manchmal wie beim Arzt. Eine Sofort-OP ohne Allergiecheck kann schlimm enden. Das darf nicht missverstanden werden als Aufruf zum Aussitzen, im Gegenteil! Aber gerade für die Aufarbeitung der Geschichte muss gelten: Eile mit Weile. Und Bedacht.

© SZ vom 11.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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