Kommentar:Peinliche Wegmarke

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Das Schild am Wenzberg erzählt viel, schafft aber keine Klarheit

Von Felicitas Amler

Zeit muss man mitbringen - und eine Brille: Wer das Erklärstück zum Straßenschild am Ickinger Wenzberg ernsthaft lesen möchte, kann dies nicht en passant - im Vorübergehen - tun. So viel haben die Ickinger über ihren Paul Wenz zu sagen, dass sie ein großes Schild mit sehr vielen sehr kleinen Buchstaben darauf anbringen mussten.

Also erfahren wir vom Architekten und seiner Ehefrau, der - wie es ausdrücklich heißt - "erfolgreichen" Kinderbuchillustratorin samt deren Lebensdaten; vom Besitz mehrerer Grundstücke in Icking und dem Einsatz des Paares für eine Privatschule ebendort. Fast die Hälfte der Tafel ist mithin bereits gefüllt, als ein anderer Aspekt berührt wird: Paul Wenz' Beitritt zur NSDAP, Else Wenz-Viëtors Mitgliedschaft in der NS-Frauenschaft und die Aktivität der gemeinsamen Kinder in NS-Jugendorganisationen. Es wird erwähnt, dass Wenz der Architekt der Verwaltungszentrale der NS-Rüstungsbetriebe im heutigen Geretsried war und Landesleiter der Reichskammer der bildenden Künste. Mit dem Spruchkammer-Urteil "ein nominelles, wenn auch zuerst gläubiges Partei- und SA-Mitglied" ist das Schild noch nicht am Ende: "Das Ehepaar Wenz lebte nach dem Krieg zurückgezogen in Icking", das sollten wir doch noch erfahren.

Das Schild liefert viele Informationen. Aber keine Klarheit. Es ist geradezu ein Paradebeispiel an Geschichtsrelativierung. Die beiden, nach denen eine Straße benannt ist, waren im Ickinger Duktus einerseits so, aber dann auch wieder ganz anders. Ein bisschen die guten Leute von nebenan. Und, nun ja, irgendwie auch Nazis, ein wenig SA, etwas NS-Frauenschaft und tatsächlich auch im Dienste der mörderischen NS-Rüstungsmaschinerie. Dann aber wieder ganz stille Nachbarn.

Was soll das? Diese Frage beantwortet das Schild gleich im ersten Satz, in welchem sich die Gemeinde distanziert, wobei sie erkennbar nicht bereit ist, auf Distanz zu gehen. Sie schreibt: "Im Volksmund hieß der Wenzberg bereits vor der offiziellen Namensgebung nach der Familie Wenz." Die Straße hat sich quasi von allein benannt. Und: "Eine persönliche Ehrung war mit der Benennung nicht verbunden." Soll heißen: Wir waschen unsere Hände in Unschuld; wir wollten nie einen Nazi ehren, nur wegnehmen möchten wir ihm und seiner Frau die Ehre dann auch wieder nicht.

Dieses Schild - es gibt nur eins, obwohl an der langen Straße natürlich mehrere Wenzberg-Schilder stehen - ist peinlich. Eine Zumutung für aufgeklärte Menschen.

© SZ vom 04.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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